Zur Frage „Wie viel Garantie braucht die bAV?“ haben Fachexperten von Willis Towers Watson mit bAV-Praktikern aus Unternehmen und Vertretern der Versicherungswirtschaft gesprochen. Interview zur juristischen Seite mit Dr. Michael Karst, Head of Legal, Tax, Accounting von Willis Towers Watson, und Dr. Erika Biedlingmeier, leitende Justiziarin der Allianz Lebensversicherungs AG.
Frau Dr. Biedlingmeier, warum werden die Garantien in der bAV zur Zeit so kontrovers diskutiert?
Dr. Erika Biedlingmeier, leitende Justiziarin, Allianz Lebensversicherungs AG: Versicherer können in der anhaltenden Niedrigzinsphase rein wirtschaftlich im bisherigen Rahmen auf Sicht keine volle Beitragsgarantie mehr geben, erst recht, wenn 2022 der Höchstrechnungszins auf 0,25 Prozent abgesenkt wird. In Zukunft werden deshalb vor allem Produkte mit abgesenkten Garantieniveaus angeboten. Unternehmen müssen versicherungsbasierte bAV-Zusagen im Rahmen der Anwartschaftsphase dann entsprechend gestalten.
Das sorgt derzeit für eine lebhafte arbeitsrechtliche Diskussion, weil wir historisch aus einer Welt mit einer 100-prozentigen Beitragsgarantie kommen, die in Zeiten hoher Zinsen auch gut gewährt werden konnte.
Können Unternehmen künftig rechtssicher eine bAV zusagen, bei der zumindest anfänglich die garantierte Leistung geringer ist als die eingezahlten Beiträge?
Dr. Michael Karst, Head of Legal, Tax, Accounting, Willis Towers Watson: Bei einer Beitragszusage mit Mindestleistung, der BZML, können sie dies ganz klar nicht. Denn hier schreibt das Betriebsrentengesetz vor, dass das Versorgungskapital als Altersleistung mindestens die Summe der zugesagten Beiträge umfassen muss, abzüglich der Kosten für einen biometrischen Risikoausgleich. Vereinfacht gesagt: Was man für die Altersleistung in die BZML reinsteckt, muss als Mindestleistung wieder rauskommen.
Dr. Erika Biedlingmeier: Anders sieht die Lage bei einer beitragsorientierten Leistungszusage, also der BOLZ aus. Hier hat der Gesetzgeber im Betriebsrentengesetz kein bestimmtes Garantieniveau festgeschrieben. Laut einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2016 muss jedoch jeder Beitrag unmittelbar zu einer Leistung führen. Diesen Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistung müssen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern transparent machen, um ihnen Planungssicherheit zu bieten.
In der BOLZ sind abgesenkte Garantieniveaus also grundsätzlich rechtens?
Dr. Michael Karst: Genau an diesem Punkt entzündet sich die Diskussion. Eine Gruppe sagt, das Gesetz schreibt kein Garantieniveau bzw. eine bestimmte Mindestleistung vor, also haben wir hier freie Hand. Eine andere Gruppe sagt, es könnte ja auch Rechtsgrundsätze geben, aus denen folgt, dass die Beitragsgarantie generell das Minimum in der bAV sei.
Was spricht für eine Beitragsgarantie?
Dr. Michael Karst: Beide haben für ihre Einschätzung erst einmal gute Gründe. Die Gruppe, die eine volle Beitragsgarantie als verpflichtend betrachtet, sagt: Das Betriebsrentengesetz schließt eine solche Garantie ja nicht explizit aus. Mit Blick auf das gesamte Betriebsrentengesetz kann es sie also immanent durchaus geben.
Und wenn wir die Lage historisch-chronologisch betrachten, zeigt sich folgendes Bild: 1999 wurde die BOLZ in das Gesetz aufgenommen. 2002 wurde die BZML eingeführt, die eine freiere Kapitalanlage in regulierten Durchführungswegen erlaubt und zum Risikoschutz der Mitarbeiter eine volle Beitragsgarantie als gesetzliche Mindestleistung vorschreibt.
Wenn aber bei einer BZML eine gesetzliche Mindestleistung definiert wird, stellt sich rechtlich die Frage, ob man bei einer BOLZ diese Mindestleistung unterschreiten darf oder ob die BZML hier nicht einen gesetzlichen Mindeststandard geschaffen hat.
Und wie lautet die Gegenmeinung?
Dr. Erika Bidlingmeier: Die andere Gruppe argumentiert nicht nur historisch, sondern systematisch. Ihre Argumentationslinie lautet: Der Gesetzgeber sieht neben der allgemeinen Definition der bAV zwei spezifische eigenständige Zusagearten vor, die sich durch klar definierte Merkmale voneinander unterscheiden, etwa was die Durchführungswege angeht oder eben auch die Garantieanforderungen. Weder widersprechen die beiden spezifischen Normen einander, noch können von der einen auf die andere irgendwelche Rückschlüsse gezogen werden. Sie bestehen jeweils separat.
Auf welcher Seite stehen Sie?
Dr. Michael Karst: Fragen wir pragmatisch für die Rechtspraxis: Auf welcher Seite steht die Rechtsprechung? Hier gibt ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts einen ganz wesentlichen Hinweis. Im entschiedenen Fall ging es darum, ob die laufenden Leistungen der bAV in der Bezugsphase mit einem Mindestbetrag angepasst werden müssen, wenn die Anpassung – wie bei Direktversicherungen und Pensionskassen möglich – allein von den auf den Rentnerbestand anfallenden Überschüssen abhängt. Die Besonderheit in diesem Fall war, dass keine Überschüsse erzielt wurden und damit die Rentner keine Anpassung erhielten.
Das Gericht urteilte: Nein, weil das Betriebsrentengesetz an dieser Stelle (§ 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG) zum Gebot einer Mindestanpassung schlicht nichts sagt. Die Parallele zur BOLZ ist offensichtlich – auch hier fordert das Gesetz keine Mindestleistung.
Die Auffassung, die aus dem Fehlen einer Mindestleistungsregelung bei der BOLZ darauf schließt, dass dann auch keine Mindestleistung gesetzlich vorgeschrieben ist, kann dies also neben anderen systematischen Argumenten gut mit diesem aktuellen BAG-Urteil begründen.
Haben Unternehmen demnach freie Hand in puncto Garantie?
Dr. Michael Karst: Zielführender ist folgende Frage: Wie hoch darf der variable Anteil des Arbeitsentgelts sein, also der nicht garantierte Betrag? Das ist auch für die bAV, die vom BAG bekanntlich als Leistung mit Entgeltcharakter qualifiziert wird, ein wichtiger Aspekt, der letztlich sicherstellt, dass für die Arbeitsleistung des Mitarbeiters eine angemessene Gegenleistung in Form von Entgelt erbracht wird. Ein Fingerzeig mag hier eine frühere Vergütungsentscheidung des BAG sein, nach der höchstens 25 Prozent der Vergütung variabel sein dürfen.
Auch wenn die bAV in einem völlig anderen Kontext steht, könnte man aus dieser Entscheidung sinngemäß schließen, dass eine anfängliche 80-prozentige Beitragsgarantie noch in Ordnung ist. Dann müssen die Mitarbeiter jedoch im Sinne des Äquivalenzprinzips von Leistung und Gegenleistung auch die reelle Chance auf ausgleichende Erträge haben, die über eine durchdachte Kapitalanlage erzielt werden.
Wie lautet Ihr Fazit?
Dr. Michael Karst: Arbeitsrechtlich ist es zulässig, eine BOLZ ohne anfängliche 100-prozentige Beitragsgarantie zu betreiben. Ganz ohne Garantie geht es allerdings nicht, weil den Mitarbeitern nach Auffassung des BAG nicht das ganze Kapitalmarktrisiko aufgebürdet werden darf. Bei der Frage, welches Garantieniveau man dann gewährt, ist wiederum Augenmaß geboten: Eine beliebig niedrige Garantie wäre problematisch.
Entsprechende Modelle werden daher in Zukunft vielfach zu finden sein, weil die volle Beitragsgarantie in der versicherungsförmigen Ausprägung wirtschaftlich oft nicht mehr darstellbar ist. Und es ist sicher auch eine gute Zukunft. Denn wir leben zwar in einer von Niedrigzins geprägten Welt, bei weitem jedoch nicht in einer renditelosen Kapitalmarktumgebung, die sehr gut für interessante Versorgungsmodelle genutzt werden kann.
Ausführlich wurden diese Thesen in einem Online-Event diskutiert (zur Aufzeichnung).