Frau Köhler, viele Akquisitionen bleiben hinter ihren Zielen zurück. Woran liegt’s?
Ariane Köhler: Wer ein Unternehmen übernimmt, will etwa Marktanteile und neue Kunden gewinnen, seine Innovationskraft stärken, sein Portfolio diversifizieren, Synergien realisieren, den Unternehmenswert steigern oder neue Talente/Teams zu akquirieren. Die Ziele unterscheiden sich von Deal zu Deal.
Auf dem Papier sieht die jeweilige Deal-Story jedenfalls immer gut aus. Doch nur engagierte Mitarbeitende können sie auch wie gewünscht lebendig werden lassen. Und daran wird leider oft zu spät gedacht, und der gewünschte Erfolg bleibt aus.
Worauf kommt es an?
Ariane Köhler: Damit sich die Mitarbeitenden im Sinne der Deal-Ziele engagieren, müssen sie sich wohlfühlen und wertgeschätzt sehen. Dazu braucht es eine gewinnende Kultur mit überzeugenden Werten, aber auch eine entsprechende Employee Experience und eine ehrliche Kommunikation. Weil diese Themen komplex sind, müssen sie von Anfang an mit bedacht werden.
Also bereits in der Due-Diligence-Phase?
Ariane Köhler: Ja, und eigentlich schon in der Phase davor. Denn zu Beginn betrachtet ein M&A-Team, welche Chancen und Risiken ein Übernahmekandidat mitbringt und überlegt, wie sich daraus im Rahmen des neuen großen Ganzen das Beste machen lässt. Die Themen Kultur, Employee Experience und Kommunikation erfordern dabei eine umfassende personalwirtschaftliche Expertise.
“Die Risiken bestehen hier darin, dass bestimmte Aspekte, welche die Mitarbeitenden eines Übernahmekandidaten schätzen, bei der Integration unter die Räder kommen oder dass sehr unterschiedliche kulturelle Aspekte aufeinandertreffen. ”
Ariane Köhler | Senior Director, Head of Work and Rewards Germany/Austria
Also gehört HR gleich an den Tisch der Entscheider?
Ariane Köhler: Genau, es geht ja darum, Menschen zusammenzuführen und zu einem neuen starken Team zu verbinden. Das ist der ureigene Job von HR. Die Risiken bestehen hier darin, dass bestimmte Aspekte, welche die Mitarbeitenden eines Übernahmekandidaten schätzen, bei der Integration unter die Räder kommen oder dass sehr unterschiedliche kulturelle Aspekte aufeinandertreffen. Das eine sorgt für Frust und das andere für Reibungen.
Und die Chancen?
Ariane Köhler: Ein Übernahmekandidat kann auch für frischen Wind sorgen. Denken wir etwa an ein innovatives Tech-Unternehmen, das von einer konservativen Bank oder einem traditionellen Automobilunternehmen übernommen werden soll. Innovationsfördernde Werte wie Kreativität, Offenheit, konstruktiver Umgang mit Fehlern und permanentes Lernen geben der neuen Organisation vielleicht wertvolle Impulse, zum Beispiel für ihre Transformationsagenda.
Wie kann HR Risiken und Chancen erkennen und damit umgehen?
Ariane Köhler: HR muss als erstes die Deal-Strategie verstehen. Welche Ziele sollen erreicht werden? Dann geht es darum, einen dazu passenden kulturellen Rahmen zu definieren. Wie sollen die künftige Kultur und die Employee Experience aussehen? Mit diesem Bild vor Augen kann HR die Daten bewerten, die über einen Übernahmekandidaten zur Verfügung stehen.
Um welche Daten geht es?
Ariane Köhler: Die Ergebnisse der letzten Mitarbeiterbefragungen zeigen zum Beispiel, was die Mitarbeitenden schätzen, was aus ihrer Sicht bislang gut lief und wo sie einen Verbesserungsbedarf sehen. Entscheidend ist auch, wie sie die Führungskultur bewertet haben, was sie gut oder auch schlecht fanden. Insgesamt zeigen sich dabei die Präferenzen der Mitarbeitenden oder auch kritische kulturelle Schwachstellen.
“Führungskräfte, die ihre Teams mitnehmen können, sind für den Erfolg eines Deals entscheidend.”
Ariane Köhler | Senior Director, Head of Work and Rewards Germany/Austria
Führungskultur ist ja eher etwas Allgemeines.
Ariane Köhler: Deshalb sollten die Führungskräfte genauer betrachtet werden. Welche haben ihre Teams erfolgreich geführt, gerade in einem Change-Kontext? Welche stehen für die gewünschte Kultur? Welche sind beliebt? Führungskräfte, die ihre Teams mitnehmen können, sind für den Erfolg eines Deals entscheidend. Im Rahmen der Deal-Kommunikation und der Post-Merger-Integration (PMI) spielen sie eine maßgebliche Rolle.
Vor allem diese Führungskräfte sollten dann auch gehalten werden …
Ariane Köhler: … und in Sachen Kommunikation trainiert werden. Ein entsprechendes Programm muss ebenfalls früh auf die Beine gestellt werden. Hier geht es, wie in der weiteren Mitarbeiterkommunikation, um die Botschaften, die nach dem Announcement des Deals vermittelt werden sollen. Wie können die Führungskräfte ihre Leute für die Deal-Story begeistern, ohne jedoch kritische Themen auszusparen? Die gesamte Kommunikation muss offen und ehrlich sein. Und die Führungskräfte sind eben die ersten Ansprechpartner für die Mitarbeitenden.
Für HR bedeutet das eine Menge Arbeit.
Ariane Köhler: Auf jeden Fall: Ein Zielbild für die Kultur und die Employee Experience entwickeln, mit Blick darauf einen Übernahmekandidaten und seine Führungskräfte bewerten und letzten Endes für die erfolgreiche kulturelle Integration von zwei oder mehreren Mannschaften zu sorgen, das alles ist schon sehr aufwändig und muss übrigens sehr zügig über die Bühne gehen.
Ist HR dazu überhaupt immer in der Lage?
Ariane Köhler: Hier kommen zwei Dinge ins Spiel: das Dürfen und das Können. Wie gesagt, wird HR oft erst sehr spät mit an den Tisch geholt; finanzielle und juristische Fragen stehen meist im Vordergrund. Deshalb muss HR die Hand heben und sich aktiv in die Diskussion einbringen. Dazu sollten die HR-Verantwortlichen jedoch auch klarmachen können, dass der Wertbeitrag von HR zählt und dass ihn HR auch leisten kann. Und das gelingt nur, wenn sich HR generell eine entsprechende Expertise erarbeitet. HR Arbeit im Kontext von M&A / PMI wird gerne auch als Königsdisziplin von HR benannt, da alle HR Belange in einem sehr kondensierten Zeitfenster bedacht werden müssen.
Zurück zum Beginn unseres Gesprächs. Ihr Punkt war: Für den Erfolg eines Deals braucht es engagierte Mitarbeitende, und die Kultur spielt dabei eine besondere Rolle. Hat sich hier in letzter Zeit etwas geändert?
Ariane Köhler: Ja, im Zug der Corona-Pandemie hat das Remote-Work einen deutlichen Schub bekommen. Die Unternehmenskultur hat dabei zum einen als „Bindemittel“ einen noch höheren Stellenwert bekommen und zum anderen als Differenzierungsfaktor unter sonst vielleicht eher austauschbaren Arbeitgebern. Die Kultur macht den Unterschied. Gerade jüngere Mitarbeitende sind dafür sehr sensibel, und sie achten zudem immer mehr auf kulturprägende Aspekte wie Nachhaltigkeit oder auch Vielfalt, Chancengerechtigkeit, Fair Pay und Inklusion.
Eine attraktive, verbindende und der Zukunft zugewandte Kultur ist unter dem Strich unabdingbar für den Erfolg eines Deals. Und es liegt an HR eine solche Kultur in enger Zusammenarbeit mit den Führungskräften zu definieren und zu gestalten. Hierzu gehört auch für die entsprechende Employee Experience zu sorgen und diese durch eine klare und ehrliche Kommunikation zu begleiten. Hierauf muss sich HR vorbereiten und sich aktiv bei M&A / PMI’s ins Spiel bringen. Dann werden auch mehr Deals als bisher den gewünschten Erfolg bringen.