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Transaktionssicherheit trotz fehlender Verkäufer-Garantien

„Synthetische W&I-Versicherung“ könnte erforderlicher werden

Von Robert Engels , Janin Kauffmann und Stephan Boerner | 22. April 2024

Synthetische Deckungen im Rahmen einer Warranty-and-Indemnity-Versicherung könnten deutlich an Relevanz gewinnen.
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Das Insolvenzrisiko deutscher Unternehmen nimmt zu – 2023 stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen um rund 23 Prozent deutlich an. Gründe dafür sind neben dem Auslaufen staatlicher Hilfen nach Corona hauptsächlich anhaltend hohe Kosten, politische Unsicherheiten, die weiterhin gestiegene Inflation und das aktuelle wirtschaftliche Umfeld. Welche Konsequenzen haben die zunehmenden Insolvenzen auf Unternehmensübernahmen?

Die bereits seit der Pandemie erwartete Insolvenzwelle nimmt allmählich Gestalt an. Insbesondere die Zahl der Großinsolvenzen dürfte 2024 ansteigen. Folglich werden Distressed M&A Deals an Bedeutung gewinnen und es ist mit einem verstärkten Dealflow zu rechnen. Hierzu zählt der Erwerb von insolventen Unternehmen, aber auch von Restrukturierungs- und Sanierungsbemühungen in Form der Veräußerung von Unternehmen bzw. Unternehmensteilen. Diese Szenarien stellen den Käufer jedoch vor Herausforderungen, da sich die Bedingungen solcher Transaktionen, auch neben den ökonomischen Parametern, stark von denen gewöhnlicher Übernahmen unterscheiden: Garantien des Verkäufers, die üblicherweise Bestandteil des Kaufvertrages sind und zur Absicherung des Käufers dienen, entfallen zumeist. Für den Käufer bedeutet dies ein erhöhtes Risiko – in einigen Fällen kann die Übernahme sogar nicht durchgeführt werden. In anderen Fällen wird sich das Fehlen von Garantien in einem deutlich geringeren Kaufpreis widerspiegeln und sich damit auch auf die Verkäufer negativ auswirken. Sind die Käufer Finanzinvestoren, müssen sie zum Beispiel meist Compliance-Vorgaben erfüllen, die einen gewissen Garantiekatalog vorschreiben. Doch woher nehmen, wenn es keine echten Garantien durch den Verkäufer gibt? Eine mögliche Lösung ist ein quasi künstlicher Garantiekatalog mithilfe einer synthetischen Deckung im Rahmen einer Warranty & Indemnity (W&I)- Versicherung . Synthetische Deckungen sind ein Spezialgebiet, sie kommen nicht allzu häufig zum Einsatz, könnten aber aufgrund der Entwicklung 2024 deutlich an Relevanz gewinnen.

Synthetische W&I-Versicherung – was steckt dahinter?

Die synthetische W&I-Versicherung ist eine Sonderform der traditionellen W&I-Police. Letztere schützt den Käufer im Rahmen eines mit dem Verkäufer verhandelten Garantiekatalogs unter dem Kaufvertrag vor Garantieverletzungen oder falschen Angaben des Verkäufers – egal, ob unverschuldet oder vorsätzlich falsch (Abb.1).

Vertragliche Verbindungen und Risiko-Sphären bei einer normalen W&I.
Abbildung 1: Vertragliche Verbindungen und Risiko-Sphären bei einer normalen W&I

Die W&I-Versicherung stellt dem Käufer mit dem Versicherer einen solventen Schuldner an die Seite, der für etwaige Schadensersatzverpflichtungen des Verkäufers aufgrund von Garantieverletzung einstehen muss. Im Falle von auslaufenden Investmentfonds kann die Versicherung haftungstechnisch sozusagen an die Stelle der abzuwickelnden Fonds treten und so die zügige Abwicklung ermöglichen. Bei der synthetischen Deckung hingegen wird ein fiktiver Garantiekatalog zwischen Käufer und Versicherer vereinbart (Abb. 2).

Vertragliche Verbindungen und Risiko-Sphären bei einer synthetischen W&I
Abbildung 2: Vertragliche Verbindungen und Risiko-Sphären bei einer synthetischen W&I

Der Verkäufer ist nur im Rahmen der Offenlegung und Due Diligence in den Prozess eingebunden. Dieser Garantiekatalog basiert in der Regel auf einem Standardkatalog, ist also weder besonders käufer- noch verkäuferfreundlich, und wird auf den Einzelfall, auch abhängig von Industrie, zugeschnitten. Ist der Verkäufer also nicht in der Lage, belastbare Aussagen zu machen, kann sich der Käufer dennoch gegen die Risiken durch einen synthetischen Garantiekatalog mit dem Versicherer absichern. Erweisen sich die angenommenen Garantien als falsch, kommt der Versicherer für den Schaden auf.

Obwohl diese Deckungsform schon lange auf dem Markt ist, kommt sie nur bei einer Handvoll Übernahmen pro Jahr zum Einsatz – dabei ist sie nicht wesentlich teurer als die klassische Form. Dies könnte sich insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Insolvenzen und steigender wirtschaftlicher Spannungen ändern. Denn bei einem Distressed Deal tritt oft ein Insolvenzverwalter als Verkäufer auf. Dieser kennt das Unternehmen nicht gut genug, um Garantiezusagen zu machen, ohne sich dabei dem Risiko der Vorsatzhaftung auszusetzen. Denn sogenannte „Angaben ins Blaue hinein“ können als arglistige Täuschung gewertet werden. Mit der Police entfällt dieses Risiko, da der Käufer über den synthetischen Garantiekatalog mit dem Versicherer abgesichert wird.

Weitere geeignete Anwendungsfälle

Abgesehen von Distressed M&A Deals könnte die synthetische Deckung durch die W&I-Versicherung auch dann Anwendung finden, wenn beispielsweise ein großes Verkäuferkonsortium vorliegt, das inhaltlich keine belastbaren Aussagen treffen kann. Ebenso spielt sie im Real-Estate-Segment eine Rolle, wenn Investoren das Management ihres Portfolios einem Verwalter übertragen haben. In diesen Fällen sind die Parteien nicht im Tagesgeschäft des Kaufobjektes involviert und können im Falle eines Verkaufs gegebenenfalls keine belastbaren Garantien abgeben. Auch im Bereich der erneuerbaren Energien (z. B. Windkraft- oder Photovoltaikanlagen) oder Infrastruktur (Rechenzentren, Sendemasten) kann eine synthetische W&I-Police als Lösung zum Einsatz kommen. Sprich: Überall dort, wo es um statische Anlagen oder Objekte geht und die Anzahl der abzusichernden Garantien vorhersehbar ist, kann eine synthetische Lösung über einen künstlichen Garantiekatalog etwas einfacher Abhilfe schaffen.

Für rein operative Kaufobjekte ist die synthetische Deckung über die W&I-Versicherung auch möglich, ist aber im Risikoprofil etwas schwerer zu handhaben. Außerdem ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Möglichkeiten im Rahmen einer synthetischen Deckung geeignet bzw. ausreichend sind.

Pflichten der beteiligten Akteure

Wer eine W&I-Versicherung mit synthetischer Deckung abschließen will, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen:

  1. Der Verkäufer muss begründen können, warum er keine Garantien geben kann: Für den Versicherer muss nachvollziehbar sein, warum der Verkäufer nicht genügend Informationen über das Objekt hat, um eigene Garantien abzugeben.
  2. Im Rahmen des Offenlegungsprozesses muss der Verkäufer aktiv mitwirken. Ebenfalls wird der Verkäufer kurz vor Beurkundung (Signing) gegebenenfalls Anlagen zum Kaufvertrag nach Vorgabe der Versicherung fertigen müssen. Insoweit sind der Käufer und Versicherer auf die Mitwirkung der Verkäufer bzw. des (Asset) Managements angewiesen.
  3. Bei der synthetischen Police kommt der Due Diligence eine inhaltlich noch größere Bedeutung zu als im Rahmen der normalen W&I-Deckung. Da dem Versicherer keine Bestätigung des Verkäufers (in Form von Garantien) vorliegt, muss er sich vollkommen auf die Prüfungsergebnisse des Käufers verlassen können.

Die Bereitschaft des Versicherers, die Risiken auch auf synthetischer Basis zu übernehmen, steht und fällt häufig mit dem Umfang der Due Diligence. Gerade im Falle eines Distressed Deals ergibt sich zudem häufig eine potenzielle Zwickmühle für den Käufer: Gegebenenfalls lohnt es sich finanziell nicht, bei einem vergleichsweise geringen Kaufpreis hohe Summen in den Beratungs- und Prüfungsprozess zu investieren. Der Erwerb eines insolventen Unternehmens wird von vielen ohnehin als Risikoinvestition angesehen. Doch für den Abschluss einer synthetischen W&I-Versicherung ist die Due Diligence nicht nur zwingend notwendig, sie muss meist auch einem erforderlichen hohen Marktstandard entsprechen. Denn die Regressmöglichkeiten des Versicherers sind deutlich eingeschränkt. Im Schadenfall hat er in der Regel keine Möglichkeit, sich eine Schadenzahlung vom Verkäufer zurückzuholen.

Restrisiken sind leider unvermeidbar

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen lässt sich ein gewisses Übernahmerisiko auch durch synthetische

Deckung nicht gänzlich ausschließen.Denn: Ein synthetischer Garantiekatalog enthält meist nur Garantien zum Zeitpunkt der Beurkundung und seltener des Vollzugs, ausgenommen der Eigentumsgarantien. Anders bei einer herkömmlichen Transaktion, bei der der sogenannte „Bring-Down-Mechanismus“ dafür sorgt, dass der Verkäufer bei Vollzug bestätigen muss, dass seit Beurkundung keine neuen Umstände bekannt geworden sind, die zu einer Garantieverletzung führten. Bei einer synthetischen Garantie entfällt dieser Schritt regelmäßig, da der Verkäufer nur schwer zu einer erneuten Offenlegung zu motivieren ist. Dies würde bedeuten, dass neue Umstände, die sich zwischen der Beurkundung und dem Vollzug ergeben, nicht gedeckt wären. Dieser Zeitraum kann durchaus mehrere Monate dauern.

Gewinnt das Nischenprodukt an Bedeutung?

Aufgrund der besonderen Anforderungen wird das synthetische Konstrukt auch in Zukunft eher die Ausnahme am Markt bleiben. Doch zumindest im Bereich Distressed M&A könnte die Nachfrage künftig steigen. Ob sich die synthetische W&I-Police in diesem Zusammenhang langfristig als gängige Alternative etablieren wird, bleibt abzuwarten.

Generell ist es in Zeiten geringerer M&A-Aktivität sinnvoll, derartige Sonderdeckungen in Erwägung zu ziehen – sofern der Risikoappetit der Versicherer groß genug ist. So war es WTW in der zweiten Jahreshälfte 2023 möglich, einen größeren operativen Deal außerhalb einer Distressed-Situation auf diese Weise erfolgreich abzusichern. 

Fazit

Eine synthetische W&I-Versicherung bietet dem Käufer ein recht hohes Maß an Sicherheit, wenn der Verkäufer eine solche Sicherheit nicht bieten kann, und ermöglicht damit Transaktionen, die unter normalen Umständen eventuell nicht möglich wären. Käufer können sich so gegen etwaige Risiken absichern, während Verkäufer nicht Gefahr laufen, falsche Garantieversprechen abzugeben. Gleichzeitig profitieren die Versicherer in Zeiten einer „Durststrecke“, was den Markt belebt und für mehr Aktivität und Flexibilität sorgt.

Autoren


Head of M&A D-A-CH, Corporate Risk and Broking

Director M&A D-A-CH, Corporate Risk and Broking

Associate Director M&A D-A-CH, Corporate Risk and Broking

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