360°Vorsorge I News
Das Thema Governance spielt für Pensionskassen seit der Strukturreform 2011 eine immer wichtigere Rolle und ist daher auch in unserer 360°Vorsorge-Sicht zentral. Die damalige Einführung des Art. 51a BVG hat den Stiftungsrat faktisch in die Position eines Verwaltungsrats befördert, indem er für die Festlegung strategischer Ziele und Grundsätze verantwortlich ist.
Oberste Leitlinie ist dabei das Interesse der Versicherten an der Sicherheit der Vorsorge und verlässlichen Leistungen unter Wahrung der treuhänderischen Sorgfaltspflicht.
Obwohl, wie in Abbildung 1 alle wesentlichen Bereiche betroffen sind, wird oft ein internes Kontrollsystem (IKS) mehr als reines Kontroll- denn als Risiko-Steuerungsinstrument eingesetzt. Aus Expertensicht ist es empfehlenswert, insbesondere die Bereiche Finanzierung, Anlagen sowie Verpflichtungen aus einer Risikoperspektive zu bewerten und für die Risikosteuerung des Stiftungsrats zur Verfügung zu stellen.
Dies setzt voraus, dass Klarheit darüber besteht, wie und in welcher Periodizität Risiken gemessen werden sollen und wann Leistungsanpassungen sowie taktische bzw. strategische Eingriffe des Stiftungsrats nötig werden.
Grundvoraussetzung für eine gute Governance und somit intakte Risikosteuerung ist die Umsetzung der Hauptprinzipien der Unabhängigkeit (Art. 40 BVV2), Transparenz (Art. 48 b-e BVV2), Integrität sowie Loyalität (Art. 48 f-l BVV2) aller verantwortlichen Personen. Zudem sollten regulatorische und juristische Risiken im IKS regelmässig geprüft und Prozesse entsprechend angepasst bzw. erweitert werden. Als aktuelles Beispiel sei auf das totalrevidierte Datenschutzgesetz (DSG) und die Datenschutzverordnung (DSV) per 01.09.2023 hingewiesen.
Lesen Sie zu diesem Themen unseren 360°Vorsorge I News - Überblick über Gesetzesentwicklungen und Reformvorhaben in der 2. Säule ab 2023.
Die Beurteilung der Finanzierung ist Aufgabe des Experten für berufliche Vorsorge und wird in der Regel jährlich überprüft. Zentral ist dabei, dass im versicherungstechnischen Gutachten eine Gewinn- und Verlustanalyse Aufschluss über allfällige systematische Gewinn- oder Verlustquellen gibt. Empfehlungen des Experten sollten vom Stiftungsrat zeitnah umgesetzt werden, damit keine grösseren Finanzierungs-Ungleichgewichte zwischen Solidargemeinschaften entstehen. Systematische Ungleichgewichte können bspw. durch Anpassung der Parameter (z. B. der Umwandlungssätze) oder auch durch ein geeignetes Beteiligungsmodell reduziert werden.
Systematische Ungleichgewichte treten oft bei zu hohen Umwandlungssätzen auf, die nicht über die erwartete Rendite finanziert werden können und auf eine zusätzliche Finanzierung angewiesen sind.
Als geeignete Grösse zur Beurteilung der ausgewogenen Finanzierung kann die Sollrendite dienen, um das reglementarische Leistungsziel zu erreichen. Diese Sollrendite ist gegeben durch die Rendite, welche die Pensionskasse erzielen muss, wenn man den Deckungsgrad bei voll gebildeter Wertschwankungsreserve bei gleichem Leistungsniveau als Ziel annimmt. Liegt die realistisch zu erwartende Performance der Vermögensanlage unter dieser Sollrendite, sollten sowohl die Leistungen und die Finanzierung als auch die Anlagestrategie der Pensionskasse hinterfragt und gegebenenfalls angepasst werden.
Das Zusammenspiel von Sicherheit und Risikoverteilung ist darüber hinaus Gegenstand von Art. 50 BVV2. Hier ist insbesondere zu erwähnen, dass die Beurteilung der Sicherheit der Erfüllung der Vorsorgezwecke in Würdigung der gesamten Aktiven und Passiven sowie der Struktur und der zu erwartenden Entwicklung des Versichertenbestandes zu erfolgen hat. Zudem muss die Vorsorgeeinrichtung ihre Vermögensanlagen sorgfältig auswählen, bewirtschaften und überwachen. Damit wird dem Stiftungsrat zur Erfüllung seiner Sorgfaltspflicht implizit eine periodisch zu erfolgende ALM-Studie vom Gesetzgeber auferlegt, speziell wenn es die Festlegung bzw. Anpassung einer Anlagestrategie betrifft. Wichtig ist hier der Umstand, dass nur mit einer dynamisch berechneten Entwicklung des Versichertenbestandes in einer ALM-Studie eine über die Strategieperiode genügende Entsprechung der Anlagen mit der Risikofähigkeit sowie den Verpflichtungen geprüft werden kann.
Der Stiftungsrat muss in diesem Zusammenhang auch entscheiden, ob Risiken ökonomisch oder statutarisch und in welcher Periodizität gemessen werden sollen. Welche Solidaritäten bzgl. der Risiken und deren Finanzierung bestehen innerhalb des Versichertenbestandes und was kann oder sollte rückversichert werden? Die Evaluation der wichtigsten versicherungstechnischen, demografischen und Finanzmarkt-Risiken sollte mit der gewählten Methodik und Aktualität in das IKS integriert sein, welches dem Stiftungsrat transparent die aktuelle Lage der Pensionskasse darlegt und als Grundlage für Entscheide dienen sollte.
Damit sich Governance nicht zum Papiertiger entwickelt, sondern aktiv gelebt und als wirkliche Entscheidungsgrundlage umgesetzt wird, ist ein stetiger Diskussions- und Weiterbildungsprozess mit dem Experten für berufliche Vorsorge, Anlagespezialisten und juristischen Fachpersonen nötig. Dabei ist wichtig, dass bestehende und neue Zusammenhänge und Entwicklungen transparent erklärt und bewertet werden, sich der Stiftungsrat sowohl der Risiken als auch der Chancen stets bewusst wird und auf dieser Basis optimal und zeitnah informiert seine Entscheide treffen kann.