BFH legt Berechungsparameter fest
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei grundlegenden Urteilen
(X R 33/19 sowie X R 20/19; beide vom 19.5.2021) zahlreiche Streitfragen zum Problem der sog. doppelten Besteuerung (Doppelbesteuerung) gesetzlicher Renten geklärt. Aufgrund der großen Tragweite des Sachverhalts bzw. der Entscheidung war das Bundesministerium für Finanzen (BMF) beiden Verfahren im Vorfeld beigetreten.
In beiden Fällen waren die klagenden Rentner (die in ihrer Erwerbsphase als selbständiger Steuerberater im Fall X R 33/19 bzw. als Zahnarzt im Fall X R 20/19 tätig gewesen sind) auf eigene Initiative Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung. Beide machten geltend, dass der Anteil der in der Rentenphase zu versteuernden Rente den Anteil der in der Erwerbsphase steuerfrei geleisteten Rentenbeiträge überstiege, und dass demzufolge eine Doppelbesteuerung von Teilen ihrer Rente vorläge. Beide verlangten eine Korrektur, die aber in der ersten Instanz jeweils abgelehnt wurde.
Der X. Senat des BFH wies die Revisionen zu beiden anhängigen Verfahren als unbegründet zurück, da nach Ansicht des Gerichts in beiden Fällen keine doppelte Besteuerung vorläge. Mit dem Urteil hält der BFH an seiner bisherigen, vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigten Rechtsprechung zur Rentenbesteuerung fest, nach der sowohl der zum 1.1.2005 durch das AltEinkG1 eingeleitete Systemwechsel zur (schrittweisen, nach heutigem Stand ab dem Veranlagungszeitraum 2040 vollständig) nachgelagerten Besteuerung von Altersbezügen als auch die gesetzliche Übergangsregelung im Grundsatz verfassungskonform sind.2
Im konkreten Einzelfall darf es dabei jedoch nicht zu einer doppelten Besteuerung von Renten sowie deren Aufwendungen kommen. Eine solche Doppelbesteuerung wird vermieden, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse (sog. steuerfreier Rentenbezug) mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus dem bereits versteuerten Einkommen aufgebrachten Rentenversicherungsbeiträge (sog. versteuerter Rentenbeitrag).
Bis zur Urteilsverkündung durch den BFH war weder gesetzlich kodifiziert noch höchstrichterlich entschieden, wann eine sog. doppelte Besteuerung vorliegt bzw. welche Berechnungsgrundlagen zu deren Ermittlung heranzuziehen seien.3 Über die Rentenbesteuerung bzw. die zur Bestimmung einer Doppelbesteuerung zu Grunde zu legenden Berechnungsparameter hatte es in den vergangenen Jahren teils divergierende Ansichten zwischen der Finanzverwaltung, der Literatur bzw. den entsprechenden Fachvertreterinnen und Fachvertretern sowie der Politik gegeben.4 Zur Beurteilung, ob in den vorgelegten Fällen eine Doppelbesteuerung voherrscht oder nicht, legte der BFH nun erstmalig die methodische Vorgehensweise im Sinne von konkreten Berechnungsvorgaben für die Ermittlung einer sog. doppelten Besteuerung von Renten fest.
Mit den beiden Urteilen bestimmt der BFH, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des/r Rentenbeziehenden, sondern – insofern ein/e Ehegatte/in vorhanden ist – auch die Rentenfreibeträge eines/r statistisch voraussichtlich länger lebenden Ehegatten/in aus dessen/deren Hinterbliebenenrente hinzuzurechnen sind.
Alle anderen Beträge, welche die Finanzverwaltung ebenfalls als „steuerfreien Rentenbezug“ in die Vergleichsrechnung einbeziehen möchte, bleiben allerdings nach Auffassung des BFH unberücksichtigt. Sie dienen anderen – überwiegend verfassungsrechtlich gebotenen und daher für den Gesetzgeber nicht dispositiven – Zwecken, und können somit nicht nochmals herangezogen werden um eine doppelte Besteuerung von Renten rechnerisch zu vermeiden. Zu allen anderen Beträgen zählen u. a. der Grundfreibetrag, der Sonderausgabenabzug für die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, Beitragsanteile des Rentenversicherungsträgers zur Krankenversicherung der Rentner, der Werbungskosten-Pauschbetrag sowie der Sonderausgaben-Pauschbetrag.
Insbesondere bleibt der sog. Grundfreibetrag, der das steuerliche Existenzminimum jedes Steuerpflichtigen sichern soll, bei der Berechnung des „steuerfreien Rentenbezugs“ unberücksichtigt. Für die Ermittlung des versteuerten Rentenbeitrags hat der
X. Senat ebenfalls konkrete Berechnungsparameter formuliert, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll.
Maßgebend für das Vorliegen einer Doppelbesteuerung ist das Nominalwertprinzip. Weder das Einkommensteuerrecht noch das Verfassungsrecht sehen einen Inflationsausgleich vor. Wertsteigerungen von Renten können demnach besteuert werden, unabhängig davon ob sie inflationsbedingt oder durch reale Erhöhungen zu Stande gekommen sind.5
Wenngleich in den entschiedenen Fällen keine Doppelbesteuerung festgestellt werden konnte, zeigte der BFH auf, dass spätere Rentnerjahrgänge von einer drohenden Doppelbesteuerung gesetzlicher Renten betroffen sein können. Dies ist dem – bis zum Ende der gesetzlichen Übergangsfrist – zunehmenden Besteuerungsanteil der Rente geschuldet, wohingegen bestimmte Rentnergenerationen in der Erwerbsphase nur einen Teil ihrer Rentenbeiträge aus steuerbefreitem Einkommen hatten leisten können. „Dies folgt daraus, dass der für jeden neuen Rentnerjahrgang geltende Rentenfreibetrag mit jedem Jahr kleiner wird. Er dürfte daher künftig rechnerisch in vielen Fällen nicht mehr ausreichen, um die aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Rentenversicherungsbeiträge zu kompensieren.“6
Ferner urteilte der BFH, dass es bei der Besteuerung privater Renten aus Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung systembedingt nicht zu einer doppelten Besteuerung kommen kann, da „die für diese Renten geltende Ertragsanteilsbesteuerung […] nach Ansicht des X. Senats bereits systematisch keine doppelte Besteuerung hervorrufen [kann], weil der durch das Gesetz festgelegte Ertragsanteil in zulässiger Weise die Verzinsung der Kapitalrückzahlung für die gesamte Dauer des Rentenbezugs typisiert. Diese Art der Besteuerung verlangt nicht, dass die Beitragszahlungen in der Ansparphase steuerfrei gestellt werden.“7
Obwohl sich die Urteile nicht mit der Besteuerung der betrieblichen Altersversorgung auseinander setzen, verfügen beide Entscheidungen über eine große Tragweite, da mit ihnen – in der seit vielen Jahren anhaltenden Diskussion über die verfassungsrechtlich konforme Besteuerung von Alterseinkünften – nun erstmals höchstrichterlich konkrete Berechnungsparameter zur Bestimmung der sog. doppelten Besteuerung von Renten festgelegt worden sind. Mit den Urteilen hat der BFH im Rahmen des verfassungsrechtlichen Verbotes der Doppelbesteuerung von gesetzlichen Renten die Berechnungsparameter einer Vergleichsberechnung konkretisiert. Die aufgestellten Maßstäbe bemühen sich dabei um einen Ausgleich zwischen verischerungsmathematischer Genauigkeit und Anwenderpraktikabilität. Dem Steuerpflichtigen bleibt der Nachweis der individuellen Doppelbesteuerung mit dem Ziel einer Milderung des Steuerzugriffs unbenommen. Es sollte daher individuell geprüft werden, ob es vor dem Hintergrund der aufgezeigten individuell möglichen Doppelbesteuerung von Rentenjahrgängen, deren Rentenfreibetrag immer weiter abgeschmolzen wird, sinnvoll ist, Steuerbescheide mit Renteneinkünften offen zu halten.
Das BMF ließ nach der Urteilsverkündung verlautbaren, dass es die Besteuerung von Alterseinkünften zu Beginn der neuen Legislaturperiode überarbeiten wolle.
Wann indes das BVerfG im Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit des Rechnungszinsfußes in Höhe von 6 Prozent zur Diskontierung von Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz gem. § 6a EStG entscheiden wird, welche das FG Köln mit seinem Beschluss vom 12.10.2017 kritisiert und in Folge dessen dem BVerfG vorgelegt hatte8, ist weiterhin unklar. Auf der Homepage des BVerfG findet sich gegenwärtig noch keine diesbezügliche Terminankündigung.
1 Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz – AltEinkG) v. 05.07.2004, BGBl I S. 1427.
2 Stellv. dazu BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvL 17/99; BVerfG v. 29.9.2015 – 2 BvR 2683/11, BStBl. II 2016, 310, DStR 2015/50, 2757; BVerfG v. 14.6.2016 – 2 BvR 323/10 u. 2 BvR 290/10; BFH v. 26.11.2008 – X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl. II 2009, 710, BetrAV 2009, 71.
3 Zu den bis dato noch nicht geklärten Detailfragen vgl. stellv. BFH v. 21.06.2016 – X R 44/14, DB 2016/49, 2883.
4 Vgl. stellv. Kulosa in DStR 2018/27, 1413 sowie in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10 EStG, Rz. 340, 12/2017, 283. Lieferung; Siepe in DStR 2020/02, 423 u. DStR 2019/49, 2568; Karrenbrock in DStR 2018/17, 844; BT-Drucks 19/16755 v. 23.1.2020, BT-Drucks 19/16494 v. 14.1.2020, BT-Drucks. 19/10282 v. 16.5.2019, 19/10629 v. 5.6.2019; Finanzausschuss, Wortprotokoll zur 72. Sitzung, Protokoll-Nr. 19/72 nebst den dazu veröffentlichten Stellungnahmen.
5 Vgl. hierzu bereits BVerfG v. 29.09.2015 – 2 BvR 2683/11 a.a.O.
6 BFH v. 31.05.2021, Pressemeldung zur sog. doppelten Besteuerung von Renten I – Nr. 019/21 – Urteil X R 33/19 v. 19.05.2021, unter: https://www.bundesfinanzhof.de/de/presse/pressemeldungen/detail/zur-sog-doppelten-besteuerung-von-renten-i-bfh-legt-berechnungsgrundlagen-fest-und-zeigt-damit-drohende-doppelte-besteuerung-kuenftiger-rentnergenerationen-auf/ (zuletzt: 23.06.2021).
7 BFH v. 31.05.2021, Pressemeldung zur sog. doppelten Besteuerung von Renten II – Nr. 020/21 – Urteil X R 20/19 v. 19.05.2021, unter: https://www.bundesfinanzhof.de/de/presse/pressemeldungen/detail/zur-sog-doppelten-besteuerung-von-renten-ii-bei-privaten-renten-kann-es-systembedingt-nicht-zu-einer-doppelten-besteuerung-kommen/ (zuletzt: 23.06.21).
8 Vgl. FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, Vorlagenbeschluss zum BVerfG, DStR 2017/51-52, 2792; BVerfG 2 BvL 22/17 (anhängig), siehe auch Benefits! Dezember 2017 und September 2018.