“Digitale Kompetenz und die Fähigkeit zum virtuellen Kundenkontakt stehen auf der Kompetenzliste der Zukunft ganz oben"
Sven Huber,
Sales Effectiveness and Rewards Practice Lead Westeuropa von Willis Towers Watson
Das Jahr 2020 hat in kürzester Zeit große Veränderungen in vielen Bereichen der Arbeitswelt bewirkt. Der Vertrieb bildet dabei keine Ausnahme. Willis Towers Watson hat in einer aktuellen Umfrage untersucht, wo Unternehmen die größten Veränderungen im Vertrieb spüren und welche langfristigen Trends sie erwarten, die über die akuten Effekte der Pandemie hinausgehen.
Fast die Hälfte (45 Prozent) der Befragten gaben an, dass sich Aufgaben und Tätigkeiten im Vertrieb signifikant verändert haben. Beleuchtet man die Bewegungen im Markt etwas genauer, sind die zentralen Themen wenig überraschend: Die Veränderung des Verkaufsprozesses sowie die verstärkte Nutzung digitaler Methoden in der Kundeninteraktion wurden mit Abstand als die wichtigsten Veränderungen identifiziert. Ein Drittel der Befragten gab an, dass sich das eigene Produkt oder die eigene Dienstleistung durch die Auswirkungen der Pandemie verändert haben. Also nicht nur das „Wie“ des Verkaufens (Effektivität, Taktung, Flexibilität), auch das „Was“ scheint in Bewegung zu geraten.
Zwei Drittel der befragten Unternehmen sind allerdings der Meinung, dass wir hier von Veränderungen sprechen, die auch ohne die Pandemie eingetreten wären. Corona wird eher als Katalysator wahrgenommen, der Veränderungen nicht verursacht, sondern lediglich beschleunigt hat. Insofern werden Vertriebsmitarbeiter zukünftig über andere Fähigkeiten verfügen müssen, um in ihrem Job erfolgreich zu sein. Digitale Kompetenz und die Fähigkeit zum virtuellen Kundenkontakt stehen ganz oben auf der Liste.
Vertriebsmitarbeiter werden zukünftig über digitale Kompetenz und die Fähigkeit zum virtuellen Kundenkontakt verfügen müssen, um in ihrem Job erfolgreich zu sein.
Was die Implikationen der pandemiebedingten Entwicklungen auf die Vergütung von Vertriebsmitarbeitern angeht, spiegeln die ergriffenen Maßnahmen eher eine kurzfristige Linderung der Auswirkungen als strukturelle Veränderungen wider: Ziele wurden angepasst, Performance-Schwellen aufgehoben oder auch eine Mindestauszahlung garantiert. Allerdings: Sogar im Jahr 2020 sahen 45 Prozent der befragten Unternehmen überhaupt keinen Anlass, in die Vergütungspläne einzugreifen. Für 2021 zeichnet sich eine weitere Stabilisierung ab.
Bei den klassischen Fragen der Vertriebsvergütung weisen die Ergebnisse der Befragung nicht auf große, revolutionäre Veränderungen hin. Die Verwendung eines spezifischen Vertriebsvergütungssystems als Teil der variablen Vergütung für Vertriebsmitarbeiter ist weiterhin Marktstandard. Vier Fünftel (80 Prozent) der befragten Unternehmen haben ein solches System implementiert. Daneben werden auch Contests und kurzfristige Fokusprogramme, sogenannte SPIFFS (Special Performance Incentive for Focus), gerne zur Anreizsetzung im Vertrieb genutzt, meist als Ergänzung zum regulären Vergütungssystem. Prämissen wie der hauptsächliche Einsatz finanzieller KPIs scheinen sich nicht zu verändern. Auch eine verstärkte Nutzung von Teamzielen, die zuletzt häufig als Trend diskutiert wurde, ist nur bei einer Minderheit der befragten Unternehmen tatsächlich etabliert. Eine Abkehr von individuellen Vertriebsvergütungsplänen scheint sich im Markt nicht abzuzeichnen.
Die unmittelbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie scheinen in den Bereichen Sales Effectiveness und Vertriebsvergütung mittlerweile hinreichend reflektiert zu sein und lassen keine größeren Anpassungsbedarfe mehr erwarten. Ob die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt aus der Vor-Corona-Zeit wiederkommen, ist noch offen. Aber einige Veränderungen, wie die verstärkte Nutzung digitaler Kontaktformen, sind sicherlich gekommen, um zu bleiben. Sie beeinflussen die Effektivität der Vertriebsfunktion nachhaltig. Unternehmen müssen hier Schritt halten und den coronabedingten Digitalisierungsschub auch in Bezug auf die eigene Tool-Landschaft im Auge behalten, um den Vertrieb entsprechend auszustatten. Digitale Technologien werden in den nächsten Jahren stärker genutzt – das erwarten zwei Drittel der befragten Unternehmen. Aktuell setzt nur eine Minderheit der Unternehmen auf ein breites Spektrum an Technologien, um ihre Mitarbeiter im Vertriebsprozess zu unterstützen und diesen effektiver zu gestalten.
Hinsichtlich der Ausgestaltung der Vertriebsvergütung bleibt ein zentraler Trend bestehen: ein für das eigene Unternehmen optimal passendes System zu entwickeln. Die eine logische Richtung, in die sich der Markt entwickelt, gibt es ebenso wenig wie eine perfekte Lösung, die für alle Unternehmen anwendbar wäre. Die Frage nach dem am besten geeigneten Modell lässt sich nur unternehmensspezifisch beantworten. Das erfordert die regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit der Vergütungssysteme, um festzustellen, ob der gewünschte Steuerungseffekt in der Realität auch tatsächlich weiterhin erreicht wird. Immer dann, wenn sich die Rahmenbedingungen, innerhalb derer der Vertrieb agiert, fundamental ändern, ist es an der Zeit, die Vergütung im Vertrieb ebenfalls unter die Lupe zu nehmen. Dies dürfte etwa bei Reorganisationen, M&A-Aktivitäten oder einem veränderten Operating-Model der Fall sein. Oder noch unmittelbarer, wenn das Geschäftsmodell oder der Marktangang verändert wurden. HR als einer der Stakeholder beim Thema Vertriebsvergütung sollte seiner Rolle als Business Partner dabei gerecht werden und frühzeitig unterstützen, wenn sich strukturelle Defizite zeigen.