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Artikel | Benefits Perspectives

Rentenanpassung bei Gewerkschaften

BAG vom 23.2.2021 – 3 AZR 15/20

Von Dr. Dirk Kruip | 15. November 2021

Gewerkschaftliche Arbeitgeber dürfen die Anpassung von Betriebsrenten verweigern, wenn sie sonst ihren Vereinszweck nicht mehr erfüllen können, so das BAG.
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Nach § 16 Abs. 1, 2 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) müssen Arbeitgeber alle drei Jahre prüfen, ob sie laufende Betriebsrenten an den Kaufkraftverlust anpassen. Bei schlechter wirtschaftlicher Lage dürfen sie die Anpassung verweigern. Diese gesetzliche Pflicht trifft grundsätzlich auch Gewerkschaften, wenn sie als Arbeitgeber ihren früheren Arbeitnehmern eine Betriebsrente zahlen.

Übliche Kriterien passen nicht für Arbeitgeber ohne Gewinnerzielungsabsicht

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in vielen Entscheidungen Kriterien herausgearbeitet, wann eine schlechte wirtschaftliche Lage vorliegt, die zur Verweigerung der Rentenanpassung berechtigt. Danach kommt es entscheidend auf die Eigenkapitalverzinsung sowie – insbesondere nach Überstehen einer wirtschaftlichen Krise – auf die Eigenkapitalausstattung an. Diese Kriterien zielen aber auf wettbewerbsorientierte Unternehmen ab. Sie passen nicht für Arbeitgeber ohne Gewinnerzielungsabsicht und damit auch nicht für Gewerkschaften, die als nicht rechtsfähiger Verein organisiert sind. Vereine finanzieren sich im Wesentlichen aus Mitgliederbeiträgen und Erträgen aus etwaigem Vermögen.

Renten sind nicht anzupassen, wenn ein Verein ansonsten seinem Vereinszweck auf dem bereits erreichten Niveau nicht mehr gerecht werden kann.

Das BAG stellt daher in seinem aktuellen Urteil auf den Vereinszweck ab. Renten sind nicht anzupassen, wenn ein Verein im Fall einer Anpassung seinem Vereinszweck auf dem Niveau, das bereits erreicht ist, nicht weiter gerecht werden kann. Ebenso sind künftige weitere Maßnahmen zu berücksichtigen, die von den zuständigen Gremien des Vereins bereits konkret beschlossen und hinsichtlich ihrer finanziellen Auswirkungen bereits überschaubar sind.

Streikfonds besonders geschützt

Bei Gewerkschaften kommt hinzu, dass sie vom Grundgesetz (GG) besonders geschützt sind (Art. 9 Abs. 3 GG). Dies führt dazu, dass der Streikfonds und dessen Erträge, also das Vermögen, das zur Finanzierung von Streiks dient, bei der Anpassungsprüfung nicht zu berücksichtigen sind. Außerdem dürfen Gewerkschaften bis zur Willkürgrenze festlegen, welchen Teil ihrer laufenden Einnahmen sie dem Streikfonds zuführen wollen. Die Höhe des Streikfonds muss nicht offengelegt werden.

Diese Privilegierung setzt voraus, dass überhaupt eine abgetrennte Verwaltung in Form eines Streikfonds erfolgt. Bei der beklagten Gewerkschaft war das der Fall. Ansonsten gelten die nun erstmals vom BAG aufgestellten Grundsätze erst ab 1.1.2022. Bis dahin ist das gesamte Vermögen der Gewerkschaft geschützt.

Mangels Bilanzpflicht: Wirtschaftsprüferberichte maßgeblich

Will eine Gewerkschaft die Rentenpassung verweigern, muss sie – abgesehen vom Streikfonds – umfassend zu Einnahmen, Vermögen, Vermögenserträgen und verfügbaren Vermögenszuwächsen vortragen. Bei werbenden Unternehmen sind die handelsrechtlichen Jahresabschlüsse der Jahre vor dem Anpassungsstichtag der Einstieg in die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage. Gewerkschaften sind zwar nicht bilanzpflichtig. Das BAG sah aber die von der Gewerkschaft vorgelegten, „sinngemäß“ nach § 317 Handelsgesetzbuch (HGB) erstellten Prüfberichte eines Wirtschaftsprüfers zu einer Jahresrechnung, die Kennzahlen zu Einnahmen und Erträgen, Aufwendungen und Gewinn bzw. Verlust enthielt, als gleichwertig an.

Auch wenn die Prüfberichte belegten, dass die Einnahmen der Gewerkschaft die Ausnahmen nicht deckten, war der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif, sondern wurde vom BAG an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurückverwiesen. Vermögen, das in Tochtergesellschaften ausgelagert war und auch sog. dezentrales Vermögen der Landesbezirke der Gewerkschaft war nämlich nicht in die Prüfung einbezogen worden. Nach dem BAG sind Zuwächse und Erträge aus diesen Vermögen aber zu berücksichtigen, sofern sie nicht Teil des Streikfonds sind. Aus der Vermögenssubstanz müssen Rentenanpassungen hingegen nicht finanziert werden. Auch hinsichtlich Zuführungen zu einem sog. Demografie-Fonds muss das LAG noch prüfen, ob dieser zur Ausfinanzierung von Versorgungszusagen notwendig war oder ob es sich um Mittel handelte, die auch für eine Rentenanpassung verwendet werden könnten.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung enthält wertvolle Grundsätze für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage bei Vereinen. Anstelle des wirtschaftlichen Erfolges (ausgedrückt insbesondere als Eigenkapitalverzinsung) kommt es hier auf die fortgesetzte Erfüllbarkeit des Vereinszwecks an. Vermögenserträge und -zuwächse sind grundsätzlich zu berücksichtigen, ein Eingriff in die Vermögenssubstanz kann nicht verlangt werden. Bei Gewerkschaften tritt als Besonderheit noch die Privilegierung eines Streikfonds hinzu.

Autor


Director Retirement, Bereichsleiter Legal Wiesbaden

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