Urteil des BAG vom 14.10.2021 – 8 AZR 96/20
Auch nach Pfändung des laufenden Einkommens können Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Entgeltumwandlung vereinbaren, sofern diese sich der Höhe nach im Rahmen des § 1a BetrAVG bewegt. Dies gilt selbst dann, wenn die Entgeltumwandlungsvereinbarung nach der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Arbeitgeber abgeschlossen wird, so das BAG (Urteil vom 14.10.2021 – 8 AZR 96/20).
Der Kläger ist der geschiedene Ehemann der Arbeitnehmerin, die Beklagte ist deren Arbeitgeberin. Die Ehegatten hatten im Rahmen der Scheidung eine familiengerichtliche Vereinbarung getroffen, nach welcher die Arbeitnehmerin bzgl. eines gemeinsamen Baudarlehens ca. 22.000 Euro an den Kläger zu zahlen hatte. Der Kläger erwirkte bzgl. dieser Forderung einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfüB) gegen seine geschiedene Frau, welcher deren gegenwärtiges und zukünftiges Arbeitseinkommen bei der Beklagten erfasste. Der PfüB wurde der Beklagten Ende 2015 zugestellt. Die Beklagte leistete angesichts des PfüB ab Dezember 2015 monatliche Zahlungen an den Kläger.
Im Mai 2016 schlossen die Beklagte und die Arbeitnehmerin eine Entgeltumwandlungsvereinbarung, nach welcher monatlich 248 Euro (das entspricht vier Prozent der im Jahr 2016 geltenden monatlichen Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung = BBG) in eine Direktversicherung eingezahlt wurden zum Aufbau einer betrieblichen Versorgungsanwartschaft für die Arbeitnehmerin.
Die Beklagte leistete in der Folgezeit weiterhin monatliche Zahlungen an den Kläger auf Grundlage des PfüB, ließ aber bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens der Arbeitnehmerin die monatlich 248 Euro Versicherungsprämie unberücksichtigt.
Dagegen wehrte sich der Kläger und begehrte eine um 248 Euro höhere monatliche Zahlung. Seine geschiedene Frau habe durch den PfüB ihre Verwertungszuständigkeit über ihr Arbeitseinkommen verloren. Der Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung sei sittenwidrig, da sie damit einen Teil ihres Arbeitseinkommens dem Zugriff der Gläubiger entzogen habe.
Das BAG erkannte den geltend gemachten Anspruch nicht an und entschied, dass in Höhe der monatlichen Prämie an die Direktversicherung kein pfändbares laufendes Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) vorliege.
Die Entgeltumwandlungsvereinbarung sei keine unzulässige, den Kläger benachteiligende Verfügung im Sinne des § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO, da die Arbeitnehmerin lediglich von ihrem Recht nach § 1a Abs. 1 Satz 1 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) Gebrauch gemacht hat. Dies gelte aufgrund einer an dieser gesetzlichen Regelung orientierten normativen Betrachtung jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin mit der Entgeltumwandlung nur seinen/ihren Anspruch nach § 1a Abs. 1 S. 1 BetrAVG umsetzt, also Entgelt in Höhe von nicht mehr als vier Prozent der BBG umwandelt.
Die Tatsache, dass die Entgeltumwandlungsvereinbarung erst nach der Zustellung des PfüB abgeschlossen wurde, führe zu keiner anderen Einschätzung. Die gesetzgeberische Grundentscheidung in § 1a BetrAVG, betriebliche Altersversorgung durch den Anspruch auf Entgeltumwandlung zu fördern, würde missachtet, wenn eine Entgeltumwandlung nach Zustellung eines PfüB als benachteiligende Verfügung eingestuft würde. Auch dies gelte jedenfalls dann, wenn die Entgeltumwandlung vier Prozent der BBG nicht übersteigt.
Eine Lohnverschiebung oder -verschleierung (§ 850h ZPO) liege ebenso wenig vor wie Sittenwidrigkeit.
Das BAG weist ausdrücklich darauf hin, dass sich eine andere Beurteilung ergeben kann, wenn sich der Arbeitnehmer durch die Entgeltumwandung seiner Unterhaltspflicht für ein Kind entzieht, also wenn dem PfüB eine Unterhaltsforderung eines Kindes zugrunde liegt.
Die Entscheidung bringt erfreulicherweise ein Stück Rechtssicherheit für Arbeitgeber, welche bislang im Unklaren waren, ob sie ihren Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen bei Vorliegen eines/mehrerer PfüBs gestatten sollten, eine Entgeltumwandlungsvereinbarung abzuschließen. Sofern die Entgeltumwandlung, welche der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin insgesamt vornimmt, nicht mehr als vier Prozent der geltenden BBG beträgt, kann davon ausgegangen werden, dass sich weder Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin noch Arbeitgeber rechtswidrig verhalten und dass die Entgeltumwandlung trotz des PfüB Bestand hat.
Die mehrfache Betonung des BAG, dass dies dann gelte, wenn nicht mehr als vier Prozent der jeweiligen BBG umgewandelt werden, sollte jedoch ernst genommen werden. Die Andeutungen des Gerichts sprechen dafür, dass bei einer Entgeltumwandlung oberhalb dieser gesetzlichen Grenze ggf. eine nach § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO verbotene Verfügung vorläge und jedenfalls das oberhalb der BBG umgewandelte Arbeitsentgelt dem pfändbaren Einkommen zuzurechnen wäre, wenn der PfüB vor Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung zugestellt wurde.
Im vorliegenden Fall erfolgte die Entgeltumwandlung zugunsten einer Direktversicherung. Es spricht viel dafür, dass die Grundsätze der Entscheidung auch auf Entgeltumwandlungsvereinbarungen in den anderen Durchführungswegen betrieblicher Altersversorgung zu übertragen sind. Entscheidend ist auch in den anderen Durchführungswegen, dass die Entgeltumwandlung vier Prozent der BBG nicht übersteigt.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die ab dem Versorgungsfall aus der Entgeltumwandlung resultierenden Versorgungsleistungen ihrerseits nach Maßgabe der §§ 850 ff ZPO – also wie Arbeitseinkommen – pfändbar sind.
Sofern dem PfüB eine Unterhaltsforderung gegenüber dem Arbeitnehmer zugrunde liegt, besteht ein hohes Risiko, dass die Entgeltumwandlung als unzulässige Verfügung eingestuft würde und damit rechtswidrig wäre. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um eine Unterhaltsforderung eines Kindes handelt.