Mit Hauptinhalt fortfahren
main content, press tab to continue
Artikel | Risk Perspectives

„Unternehmen müssen viel stärker in die Risikoprävention gehen“

Vorausschauendes Riskmanagement gegen neue Bedrohungen (Interview)

2. Februar 2022

Bei vielen neuen Risiken ist ein umfassendes Riskmanagement gefragt, um Unternehmen sinnvoll abzusichern. Worauf sich Unternehmen 2022 einstellen müssen.
N/A
N/A

Frau Behrens, werfen wir einen kurzen Blick zurück: Was hat den Markt für Industrieversicherung beziehungsweise -absicherung in den vergangen drei bis fünf Jahren besonders geprägt?

Monika Behrens, Geschäftsführerin der Willis Towers Watson Versicherungsmakler GmbH: Die Versicherer haben im vergangenen Jahr nicht die Gewinne geschrieben, die sie selbst und ihre Anleger erwartet haben. Ihr Risikoappetit ist derzeit unterschiedlich stark ausgeprägt.

Deswegen müssen Unternehmen wissen, welche Risiken ein Versicherer noch gerne sieht und welche er im schlimmsten Fall nicht mehr versichert. Es kommen Risiken dazu, die wir vor fünf Jahren nur am Horizont gesehen haben, zum Beispiel Cyberrisiken oder vielfältige Bedrohungen durch den Klimawandel.

Derzeit stellt sich jede Branche in Sachen ESG-Kriterien neu auf. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

Behrens: Anfang dieses Jahres hat sich der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft Nachhaltigkeitsziele gesetzt, die die ersten Versicherer jetzt umsetzen. Kunden aus der Kohleindustrie haben mittlerweile Schwierigkeiten, noch Versicherungsschutz zu bekommen. Das trifft aber auch heute schon auf manche Zulieferer der Kohleindustrie zu und wird sich nach unserer Einschätzung zukünftig stärker auf die Versicherbarkeit bestimmter Branchen auswirken.

Welche Herausforderungen sind für Firmen heute akut? Worauf reagieren sie besonders sensibel?

Behrens: Nahezu all unsere Kunden sind derzeit mit Prämienerhöhungen konfrontiert – als Makler müssen wir für sie die richtige Balance zwischen Kosten und Risiko finden und sie gleichzeitig davon überzeugen, auch selbst präventiv etwas gegen die Unternehmensrisiken zu unternehmen. Beispielsweise Cyberdeckungen: Firmen bekommen überhaupt keinen Cyber-Versicherungsschutz mehr, wenn sie kein sicheres IT-System haben.

Hoch im Kurs steht zudem das Thema Nachhaltigkeit: Bei Unternehmen, die dem ersten Anschein nach nicht nachhaltig arbeiten, lassen wir durch eine externe Beratungsgesellschaft die langfristige Nachhaltigkeitsstrategie prüfen. Wenn diese überzeugt, haben wir extra Kapazitäten im Versicherungsmarkt organisiert, um auch schwierige Fälle zu versichern.

Neue Kunden gewinnen wir außerdem oft über Warranty & Indemnity-Policen, welche die Risiken einer Unternehmenstransaktion schmälern. Diese Versicherung gibt es zwar schon länger, sie war aber in der Vergangenheit eher eine ‚Nice-to-Have‘ Deckung. Momentan wird sie oft als Voraussetzung für einen Deal verpflichtend gefordert.

Wie gehen Sie in der Versicherungsberatung im Industriekundensegment vor?

Behrens: Bei Neukunden erstellen wir zunächst ein Risikoregister beziehungsweise -inventar. Gemeinsam mit den Kunden spielen wir die Szenarien durch, die dem Unternehmen am meisten schaden könnten. Wir analysieren die Risikolandschaft unserer Kunden umfassend und beschäftigen dafür sehr viele Mathematiker: Sie haben Programme und Methoden entwickelt, durch die wir vorhersagen können, was passiert, wenn bestimmte Risiken eintreten.

Den jährlich wiederkehrenden Betreuungsprozess haben wir sehr systematisch aufgesetzt: Wir treffen uns in Abhängigkeit von der Größe und dem Bedarf des Kunden zwei bis viermal im Jahr zu bestimmten Themenblöcken. Wir stimmen zunächst die Strategie ab: Was möchte der Kunde im neuen Jahr erreichen? Wie will er im Renewal vorgehen? Über welches Budget verfügt er? Dann besprechen wir laufende Betreuungsthemen, die wir im Laufe des Jahres immer wieder an die aktuellen Bedürfnisse anpassen.

Auf welche Fallstricke legen Sie in der Beratung besonderes Augenmerk?

Behrens: Zunächst analysieren wir die Risikolandschaft unseres Kunden, um herauszufinden, wie sein Risiko aussieht und wie es sich in den vergangenen Jahren verändert hat. Viele Kunden orientieren sich an dem, was sie in der Vergangenheit an Versicherungsschutz eingekauft haben und schauen sich die einzelnen Versicherungssparten sehr isoliert an. Das ist aber nicht mehr zeitgemäß.

Stattdessen haben wir ein Tool für unsere Beratung entwickelt, mit dem wir uns das Gesamtportfolio eines Kunden ansehen. Ziel ist es, das Budget für den Versicherungsschutz so auf alle Sparten aufzuteilen, dass das Risiko des Unternehmens insgesamt am kosteneffizientesten abgesichert ist. 

Welche Instrumente nutzen Sie, um die Beratung effizienter zu machen?

Behrens: Für die kleineren Unternehmen haben wir eine einfach aufgebaute digitale Kundenakte, über die der Kunde jederzeit auf seine Dokumente und Rechnungen zugreifen kann. Große Unternehmen wollen eher wissen, wie sie weltweit versichert sind. Dafür haben wir in eine spezielle Technologie investiert, die Kunden den gewünschten Überblick gibt.

Lassen Sie uns zum Abschluss einen Blick in die Zukunft werfen: Welche Themen werden den Markt für Industrieversicherung künftig prägen?

Behrens: Unternehmen müssen sich vom reaktiven Risikomanagement verabschieden. Neu hinzugekommene oder nicht versicherbare Risiken finden hierbei zu wenig Berücksichtigung. Es kommt vielmehr auf eine umfassende Risikostrategie an, die auf Basis der individuellen Risikotoleranz eines Unternehmens festlegt, welche Risiken versichert, selbst getragen oder aber – durch Prävention – vermindert werden können.

Unternehmen müssen sich vom reaktiven Risikomanagement verabschieden.”

Monika Behrens | Geschäftsführerin der Willis Towers Watson Versicherungsmakler GmbH

Makler müssen Kunden viel mehr mit ingenieurtechnischer Unterstützung begleiten und zeigen, wie man Schäden verhindert. Prävention wird immer wichtiger: Kunden ziehen uns mittlerweile hinzu, bevor sie neue Standorte eröffnen, um den Standort zu analysieren: Besteht das Risiko von Naturkatastrophen? Gibt es politische Risiken? Unternehmen müssen viel stärker in die Risikoprävention gehen.

Dieses Interview erschien zuerst in procontra.

Contact us