Frau Fischer, Finanzdienstleister haben auch das Thema geschlechtsneutrale Vergütung auf der Agenda. Wie ist der Stand der Dinge?
Nicole Fischer: Die Lage könnte besser sein. Der WTW Financial Services Compensation Survey ergab für Deutschland: Der Gehaltsunterschied zwischen allen Männern und allen Frauen, also der unbereinigte Gender Pay Gap, beträgt bei Banken und Versicherungen 25 Prozent. Und der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen in vergleichbaren Positionen, der bereinigte Gap, beträgt auch noch 3,9 Prozent. Dabei sollten wir bedenken: Mit der Höhe der Vergütung steht und fällt auch die Höhe der staatlichen Rente oder auch die Möglichkeiten, im Rahmen der bAV etwas fürs Alter zu tun.
Weshalb ist denn der unbereinigte Gender Pay Gap so hoch?
Nicole Fischer: Im Schnitt arbeiten bei Banken und Versicherungen zwar genauso viele Frauen wie Männer. In Familien kümmern sich jedoch nach wie vor meist die Frauen um die Kinder und den Haushalt. Deshalb übernehmen sie oft auch Jobs, die ihnen dafür den Freiraum lassen, die jedoch auch weniger gut vergütet werden. Eine Kundenberaterin im Retailbanking hat zum Beispiel einen relativ geregelten Arbeitstag und bei Bedarf kann sie gut in Teilzeit arbeiten. Im Investment-Banking oder Asset-Management weiß man jedoch nie so genau, wie ein Arbeitstag läuft und wie lang er dauert; hier sind deshalb die Männer überrepräsentiert; sie können sich in der Regel voll und ganz auf ihren Job konzentrieren.
Gleiches gilt mit Blick auf die Hierarchie. Auf der Sachbearbeiterebene engagieren sich vor allem Frauen, weil sie hier Arbeit und Familie gut unter einen Hut bringen können. Je weiter es in der Hierarchie nach oben geht, nimmt der Frauenanteil ab. Die Arbeitsbedingungen machen es Frauen mit Familie ungemein schwer, hier Fuß zu fassen.
Der unbereinigte Gender Pay Gap ist also kein reines Vergütungsthema.
Nicole Fischer: Das stimmt, hier geht es vor allem um Chancengleichheit und faire Arbeitsbedingungen. Und daran hapert es. Finanzdienstleister sollten deshalb auch familiär stark eingebundenen Frauen praktikable Möglichkeiten bieten, anspruchsvolle Jobs zu übernehmen und über alle Hierarchieebenen hinweg Karriere zu machen. Die Institute können dafür eine Menge tun – etwa mehr Teilzeit- und Job-Sharing-Möglichkeiten im Rahmen aller Jobs schaffen, Arbeitszeiten flexiblisieren, auch in Zukunft das familienverträgliche Arbeiten im Homeoffice fördern und insgesamt sämtliche Strukturen, Rollen und Aufgaben so fassen, dass sie familientauglich sind.
“Die Institute könnten so auch ihre Chance nutzen, sich als attraktive Arbeitgeber für Frauen zu positionieren. Wer hier nichts unternimmt, verschenkt wertvolles Potenzial: Es gibt viele tolle, engagierte und leistungsstarke Frauen, die etwas bewegen wollen, auch wenn sie ein paar Jahre lang familiär stärker gebunden sind.”
Nicole Fischer | Director, Work and Rewards
Dazu gehört natürlich auch der Mut, organisatorisch so einiges zu ändern. Die Institute könnten so auch ihre Chance nutzen, sich als attraktive Arbeitgeber für Frauen zu positionieren. Wer hier nichts unternimmt, verschenkt wertvolles Potenzial: Es gibt viele tolle, engagierte und leistungsstarke Frauen, die etwas bewegen wollen, auch wenn sie ein paar Jahre lang familiär stärker gebunden sind. Hier geht es um eine klare Win-win-Situation.
Welche Rolle spielen in diesem Kontext die Vergütungsbeauftragten der bedeutenden Institute?
Nicole Fischer: Wir hatten uns auf unserer HR-Branchenkonferenz mit den Vergütungsbeauftragten der Commerzbank, der DZ Bank, der DekaBank und der Hamburg Commercial Bank unterhalten. Sie sagten, dass sie in Sachen geschlechtsneutrale Vergütung eine rein überwachende Rolle haben. Sie können zwar die Hand heben, wenn sie Missstände erkennen; im Rahmen ihres regulatorischen Auftrags dürfen sie selbst jedoch nicht gestalterisch aktiv werden. Und sie gaben zu bedenken, dass es bei weitem nicht reicht, hier und da mal an der Gehaltsschraube zu drehen, um formal der Regulatorik zu entsprechen. Auch sie sehen, dass eine geschlechtsneutrale Vergütung ein sehr viel weiteres Thema ist, als dass es von der IVV oder der zu erwartenden EU Directive wirkungsvoll beeinflusst werden könnte.
Wird sich die Lage dennoch verbessern?
Nicole Fischer: Ich denke, dass wir in den nächsten Jahren deutliche Fortschritte sehen werden. Denn der Druck kommt von unterschiedlichen Seiten: Eine breite Öffentlichkeit erwartet, dass auch Frauen gute Chancen haben, sich in gut vergüteten Jobs zu engagieren. Investoren schauen sich genau an, wie Unternehmen mit den Themen Geschlechtergerechtigkeit und faire Vergütung umgehen. Und gerade junge Mitarbeitende – Frauen wie Männer – sind offen für neue Arbeitsmodelle und Karrierewege.
Die Institute sind jetzt gefordert, nicht nur ihre Vergütungssysteme noch geschlechtsneutraler zu gestalten, sondern alle ihre Personalprozesse, Personalprogramme und Arbeitsmodelle so auszugestalten, dass Frauen wie Männer ihren Weg machen können, wie auch immer sie ihr privates Leben organisieren. Insgesamt ist dies auch ein Kulturthema: Banken und Versicherungen sollten offener, weiblicher und vielfältiger werden – auf allen Positionen und Hierarchieebenen. Allerdings sind Unternehmen auch ein Spiegel unserer Gesellschaft, und unsere Gesellschaft ist immer noch eher konservativ; „Karrierefrau“ klingt nicht für alle gut. Deshalb sollten positive „Role Models“ – Frauen, Männer, Paare in unterschiedlichen Konstellationen – deutlich mehr zum Thema gemacht werden, um zu zeigen: Es geht! Auch wer in der Familie Verantwortung trägt, kann beruflich alles erreichen und natürlich entsprechend vergütet werden.