Garantie in der bAV – die juristische Perspektive
Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) geben keine explizite Auskunft darüber, ob abgesenkte Garantieniveaus in der Beitragsorientierten Leistungszusage (BOLZ) generell rechtens sind, geschweige denn, in welcher Höhe dies möglich wäre. Aus relevanten parallelen Urteilen des BAG folgen jedoch gute Argumente dafür, dass reduzierte Garantien in bestimmter Höhe rechtskonform sind. Ein Interview mit Dr. Dirk Kruip, WTW, Dr. Michael Karst, WTW, und Phillip A. Lämpe, Förster & Cisch.
Herr Dr. Kruip, Versicherer bieten jetzt nur noch Tarife mit abgesenktem Garantieniveau an. Was bedeutet das für die bAV?
Dr. Dirk Kruip: Unternehmen stellt sich vor allem die Frage, ob es auch arbeitsrechtlich in Ordnung ist, wenn sie ihren Mitarbeitenden entsprechende bAV-Lösungen anbieten oder ob sie die Garantielücken im Sinne eines formalen Beitragserhalts ausgleichen müssen. Klar ist nur, dass bei einer Beitragszusage mit Mindestleistung, der BZML, reduzierte Garantien per Gesetz nicht möglich sind. Bei einer Beitragsorientierten Leistungszusage, der BOLZ, ist die rechtliche Lage weniger klar.
Wie sieht die Lage denn aus?
Dr. Dirk Kruip: Hier stellen sich ja gleich zwei Fragen: Dürfen Unternehmen eine BOLZ mit abgesenkten Garantien anbieten? Und wie niedrig darf das Garantieniveau dann maximal sein? Die erste Frage lässt sich aus unserer Sicht mit einem Blick ins Gesetz und auf die Rechtsprechung des BAG beantworten. So wird in § 1 Absatz 2 des Betriebsrentengesetzes definiert, dass eine BOLZ genau dann vorliegt, wenn ein Arbeitgebender sich dazu verpflichtet, bestimmte Beiträge in eine Versorgungsleistung umzuwandeln.
Und das BAG hat in einem Urteil vom 30. August 2016 entsprechend festgehalten: Arbeitgebende müssen Beiträge zur Verfügung stellen, aus denen sich zugesagte Leistungen ergeben. Die Mindestleistung im Versorgungsfall muss dabei zum Zeitpunkt der Umwandlung feststehen. Eine BOLZ liegt in einer systematischen Betrachtung also genau dann vor, wenn alle definitorischen Merkmale erfüllt sind. Und zu diesen Merkmalen gehört eben keine Bruttobeitragsgarantie und übrigens auch kein bestimmter Durchführungsweg.
Herr Dr. Karst, wenn Gesetz und Rechtsprechung zur Beitragsgarantie schweigen, muss das ja noch nicht heißen, dass sie obsolet ist.
Dr. Michael Karst: In solchen Fällen hilft die relevante Parallelrechtsprechung. Und hier ist ein Urteil des BAG vom 3. Juni 2020 entscheidend. Dabei ging es um Folgendes: Überschüsse bei Direktversicherungen kommen den Rentnern zugute. Doch was, wenn keine Überschüsse erzielt werden? Muss dann nicht eine garantierte Mindestanpassung geleistet werden? Das Gericht urteilte: Nein, weil das Betriebsrentengesetz eine entsprechende Auffangregelung nicht ausdrücklich vorsieht. Pointiert gesagt: Wenn eine Garantie nicht explizit geregelt wird, gibt es sie nicht.
Dieser Rechtslogik des BAG folgend, können wir somit sagen: Für die BOLZ wird gesetzlich keine Mindestleistung explizit festgelegt, also gibt es auch keine. Abgesenkte Garantieniveaus harmonieren demnach systematisch mit der aktuellen Rechtsprechung.
Also dürfte es auch gar keine Garantie geben?
Dr. Dirk Kruip: Nein, denn dann würde das Anlagerisiko völlig beim Arbeitnehmenden liegen und wir hätten eine reine Beitragszusage. Die gilt jedoch betriebsrentenrechtlich nicht als bAV.
Welches Garantieniveau wäre denn zulässig?
Dr. Michael Karst: Dazu können wir aktuelle Urteile des BAG sinngemäß heranziehen. So sagt es in ständiger Rechtsprechung, dass die bAV auch Entgeltcharakter hat. Und in einem Urteil vom 11. Oktober 2006 hat es den Leitsatz festgelegt: Mit Blick auf das Entgelt dürfen Arbeitgebende einen Widerrufsvorbehalt vereinbaren, ich zitiere, „soweit der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil der Gesamtvergütung unter 25 Prozent liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird.“
Wenden wir dieses Urteil analog auf die bAV an, können wir sagen: Wenn schon die Gesamtvergütung so variabel gehandhabt werden kann, dann doch „Erst-recht“ die bAV als ein vergleichsweise kleiner Teil dieser Gesamtvergütung. Ein Garantieniveau von 75 Prozent wäre auf Basis der Grundgedanken dieser Rechtsprechung durchaus begründbar.
Kann dieser Schluss noch weiter untermauert werden?
Dr. Michael Karst: Ja, in einem anderen Fall ging es darum, ob ein Mitarbeiter, der mit 55 Jahren erstmals in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgebenden kommt, von der bAV ausgeschlossen werden darf. Das BAG hat dem in seinem Urteil vom 21. September 2021 zugestimmt, weil der Arbeitgebende das legitime Interesse hat, seinen Versorgungsaufwand überschaubar und kalkulierbar zu halten. Und das gelingt eben nur, wenn noch mit einer längerfristigen Betriebszugehörigkeit des Mitarbeitenden zu rechnen ist. In einer typisierenden Betrachtung ging das BAG dabei von einem Erwerbsleben von mindestens 40 Jahren aus.
Und wird ein 55-jähriger Mitarbeiter von der bAV ausgeschlossen, werden bei einem künftigen Renteneintritt mit 65 Jahren, bei einer typisierenden Betrachtung, 10 von 40 Jahren ausgeschlossen. Grundsätzlich stehen also 75 Prozent des Arbeitslebens zur Bildung einer bAV zur Verfügung. Und wenn in diesem Rahmen ein Vollausschluss möglich ist, dann doch bei typisierender Betrachtung „Erst recht“ ein entsprechend abgesenktes Garantieniveau als sehr viel mildere Gestaltung.
Mit einem Garantieniveau von 75 Prozent ist man also auf der sicheren Seite?
Dr. Michael Karst: Mit Blick auf die bereits erwähnte aktuelle BAG-Rechtsprechung lassen sich sogar noch niedrigere Garantieniveaus rechtfertigen. Wichtig ist hier jedoch nicht die Diskussion im Detail, sondern der Hinweis, dass die Rechtsprechung des BAG belastbare Schlüsse auf ein abgesenktes Garantieniveau zulässt.
Dr. Dirk Kruip: Unsere Diskussion ist übrigens nicht vom Marktzinsniveau abhängig. Ein Arbeitgebender geht in der bAV ja eine sehr langfristige Verpflichtung ein und kann unterwegs auch in Niedrigzinsphasen kommen. Und um wirtschaftliche Schäden zu vermeiden, braucht er schon eine angemessene Planbarkeit und Risikobegrenzung. Hohe Garantien sind deshalb nicht zumutbar.
Aber was, Herr Lämpe, wenn ein Gericht reduzierte Garantieniveaus nicht akzeptiert?
Philipp A. Lämpe: Ein kritisches Gericht könnte etwa fordern, dass der Wert eines Vertrags am Ende seiner Laufzeit zumindest den einbezahlten Beträgen entspricht. Doch dafür sorgt ja in aller Regel schon eine gute Kapitalanlage. Hier dürfte das wirtschaftliche Risiko also gering sein. Der Worst Case wäre, wenn es einem Gericht vom Start weg um die volle Beitragsgarantie geht; dann müsste ein Arbeitgebende die Differenz ausgleichen. Dieser Fall ist jedoch wenig wahrscheinlich.
Worauf kommt es also an?
“In einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt es auf eine klare Argumentation an. Das BAG ist methodisch sauber unterwegs.”
Philipp A. Lämpe | Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht FÖRSTER & CISCH