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Artikel | Benefits Perspectives

Formunwirksame Betriebsvereinbarung zur bAV: Rückwirkende Heilung (BAG)

BAG vom 3.5.2022 – 3 AZR 472/21

Von Sebastian Löschhorn, LL.M. | 6. Dezember 2022

Eine wegen eines Formmangels unwirksame Betriebsvereinbarung kann durch eine spätere Betriebsvereinbarung rückwirkend formal wirksam in Kraft gesetzt werden.
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Das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte die Frage zum Gegenstand, ob die für den Kläger ursprünglich geltende Versorgungsordnung (VO) wirksam durch eine nachfolgende verschlechternde VO abgelöst wurde (Urteil vom 3.5.2022 – 3 AZR 472/21).

Die Durchführung der betrieblichen Altersversorgung (bAV) bei der Beklagten, einer Gewerkschaft, erfolgt über die Unterstützungskasse des Deutschen Gewerkschaftsbundes (UK). Gemäß den bei Arbeitsantritt des Klägers geltenden Unterstützungsrichtlinien (UR 83) beträgt die Versorgungsleistung für jedes volle Jahr der anrechenbaren Dienstzeit 0,8 Prozent des versorgungsfähigen Entgelts. Die Nachfolgeregelung (VO 95) sieht dagegen eine beitragsorientierte Versorgung vor, bei der sich die monatliche Versorgungsleistung ab der Ablösung aus der Summe der erworbenen Rentenbausteine zusammensetzt. Die Ablösung erfolgte per Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV 95). Diese wurde auf Arbeitgeberseite – entgegen den Satzungsvorgaben der Beklagten – von nur einem Vorstandsmitglied unterzeichnet. Infolge der Kündigung aller Vereinbarungen zur bAV durch die Beklagte in 2012 fiel dem Gesamtbetriebsrat der Formmangel auf und er klagte gegen die Ablösung. Das arbeitsgerichtliche Verfahren mündete schließlich in den Abschluss einer neuen GBV (GBV 2014), mit welcher u.a. die GBV 95 – unbeschadet ihrer Wirksamkeit – durch eine Neuregelung der bAV ab 2015 abgelöst wurde.

Die Klage zielte auf eine ausschließlich nach den UR 83 berechnete Betriebsrente ab. Hierzu berief sich der Kläger zum einen auf den Formmangel und zum anderen auf das Fehlen eines sachlich-proportionalen Grundes für die Ablösung.

Kein schützwürdiges Vertrauen auf dauerhafte Unwirksamkeit einer Norm

Nach Ansicht des BAG wurden die UR 83 formal wirksam durch die VO 95 abgelöst. Durch Bezugnahme auf die GBV 95 sei diese durch die GBV 2014 rückwirkend bestätigt und damit in Kraft gesetzt worden. Hierfür sprächen die Regelungen in der GBV 2014, wonach die GBV 95 unbeschadet ihrer Wirksamkeit abgelöst wird und Besitzstände aus der GBV 95 aufrechterhalten werden. Zudem sei die GBV 2014 zur Erledigung des Rechtsstreits abgeschlossen worden, in dem über die Formwirksamkeit der GBV 95 gestritten wurde.

Auch das dreistufige Prüfungsschema für Eingriffe in Versorgungsregelungen sei nicht maßgeblich. Bereits in 1995 wurde auf Betriebsversammlungen sowie in Anschreiben über die Änderung der bAV unterrichtet. Die VO 95 wurde außerdem in die Praxis umgesetzt. Ein schutzwürdiges Vertrauen in die Unwirksamkeit der GBV 95 konnte dadurch nicht entstehen, zumal auch schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte rückwirkend genehmigt werden können.

Sachlich-proportionale Gründe auch bei gewerkschaftlichem Arbeitgeber erforderlich

Anschließend führt das BAG aus, dass der Eingriff in künftige Zuwächse (= dritte Besitzstandsstufe) durch die GBV/VO 95 durch sachlich-proportionale Gründe gerechtfertigt sei. Die negative Entwicklung der Mitgliederzahlen und deren Auswirkung auf die Einnahmen der Gewerkschaft sowie der Umstand des Wechsels von einem Umlageverfahren zu einer kapitalgedeckten bAV bei der UK seien hierfür maßgeblich. Zudem habe sich der Eingriff auf künftige Zuwächse beschränkt, ohne die Zuwächse vollständig zu streichen. Unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit sei außerdem positiv zu werten, dass keine Schließung des Versorgungswerks für Neueintritte erfolgte.

Das BAG weicht damit von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, wonach es bei einer Gewerkschaft nicht erforderlich ist, dass die sachlichen Gründe für den Eingriff auch proportional sein müssen. Dies ändert zwar nichts daran, dass eine gerichtliche Bewertung der Zielsetzungen für die Verwendung der Gewerkschaftsmittel untersagt bleibt. Die Gewerkschaft muss nun aber die Einschränkung ihrer Handlungsspielräume bei einer Nichtablösung des Versorgungssystems darlegen. Der Regelungszweck und die Kürzung der bAV müssen außerdem in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen.

Unerheblich war für das BAG im Übrigen, dass die Ablösung erst im Laufe des Jahres 1995 rückwirkend zum 1.1.1995 vereinbart wurde, da die UK-Versorgung auf das Kalenderjahr bezogen ist und die Beschäftigten spätestens seit Juli 1995 von der Änderung wussten. Ein schutzwürdiges Vertrauen zum Jahresbeginn 1995 konnte nach Ansicht des BAG insoweit nicht entstehen.

Abschließend verneint das BAG noch einen Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, auch wenn die Ablösung nur die UR 83 und nicht etwa auch die älteren UR 80 zum Gegenstand hatte. Die unterschiedlichen Versorgungssysteme und der der Gewerkschaft zustehende Beurteilungsspielraum, dass den länger beschäftigten und älteren Arbeitnehmern der UR 80 ein größeres Vertrauen in ihre Versorgung zusteht, rechtfertige die Unterscheidung. Zudem führe ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz auch nicht ohne Weiteres zu einem Anspruch auf Versorgung nach den UR 83, da der Verstoß ja allein darin besteht, nicht auch die UR 80 abgelöst zu haben.

Hinweise für die Praxis

Eine nicht wirksam zustande gekommene Betriebsvereinbarung (BV) birgt vor allem bei einer verschlechternden Neuordnung ein hohes Risiko. Hierauf wurde bereits in Benefits Perspectives aus November 2022 hingewiesen. Die vorliegende Entscheidung des dritten Senats des BAG eröffnet den Betriebsparteien aber eine Option zur rückwirkenden Inkraftsetzung formunwirksamer Betriebsvereinbarungen. Sofern die Formunwirksamkeit einer verschlechternden Betriebsvereinbarung zur bAV festgestellt wird, sollte daher immer auch geprüft werden, ob der Formmangel nicht bereits durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung geheilt worden sein könnte oder ob andere Optionen zur Heilung des Formmangels bestehen.

Autor


Rechtsanwalt, Associate Director Retirement, Legal

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