Die Inflation in Deutschland hat im 3. Quartal 2022 neue Höchststände erreicht. So lag die Inflationsrate im Oktober bei +10,4 Prozent gegenüber Vorjahr. Im Zusammenspiel mit dem Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, der Energiekrise sowie der Lieferkettenproblematik steht Deutschland laut aktueller volkswirtschaftlicher Studien (etwa vom IfW Kiel oder vom ifo Institut) vor einer Rezession bzw. ist schon mittendrin.
Die Bekämpfung von Ursachen und Folgen ist dabei vielschichtig und findet auf unterschiedlichen Ebenen statt: Gaspreisbremse und Entlastungspakete (etwa die Inflationsprämie) sollen die Folgen für die Bevölkerung abmildern, während Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) oder die US-Federal Reserve (Fed) die schwierige Abwägung zu treffen haben, ob die nächste Leitzinserhöhung die Inflation bekämpft oder noch tiefer in die Rezession führt.
Im rezessiven Spannungsfeld aus geringerer Nachfrage und höheren Beschaffungskosten lässt die Inflation leider auch nicht die HR-Abteilungen außen vor: Dies betrifft zuallererst die Gehaltsanpassungsbudgets bzw. deren Angemessenheit in einem solchen Umfeld, macht jedoch auf vor der bAV und anderen Benefits nicht Halt.
Handlungsbedarf: Pensionszusagen sind in der Regel in vielfältiger Weise inflationsabhängig. Unmittelbar wirkt die derzeit hohe Inflation auf die nächsten fälligen Rentenanpassungen. Bei einem dreijährlichen Anpassungszyklus sind die Renten der Mitarbeiter statt der erwarteten rund 6 Prozent um mehr als 14 Prozent anzupassen. Dies ist zum einen sofort Cash-relevant, erhöht zum anderen aber auch die Rückstellung für die betroffenen Rentner im selben Umfang. Zudem fordern Wirtschaftsprüfer vermehrt, diesen absehbaren Effekt bereits in der Rückstellungsbildung zum 31.12.2022 zu berücksichtigen.
Bestehende Budget- und Planungsrechnungen sind mit Blick auf diese starken Entwicklungen zu hinterfragen und ggf. mit aktualisierten Annahmen zu erneuern. Auch die Methode für noch ausstehende Prognoserechnungen muss angesichts der kurzfristig extremen Entwicklungen überdacht werden.
Entlastungsoption: Vor diesem Hintergrund überlegen Unternehmen, wie sie kurzfristig ihr Risiko minimieren können. Viele Unternehmen haben bei Neugestaltungen seit 1999 die sogenannte befreiende Ein-Prozent-Rentenanpassung eingeführt und sind damit der Inflation deutlich weniger ausgesetzt. Für Altzusagen vor 1999 steht diese Option allerdings nicht offen.
Das Betriebsrentengesetz sieht vor, das Unternehmen bei der Rentenanpassung statt des Verbraucherpreisindexes für Deutschland den Anstieg der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens heranziehen können. Allerdings ist diese Betrachtung dann auf den gesamten Anpassungszeitraum seit Rentenbeginn anzuwenden. Damit lohnt sich diese Betrachtung für viele Unternehmen nicht mehr oder scheitert an einer schlechten Datenlage oder Auslegungsfragen in Bezug auf die „vergleichbaren Arbeitnehmergruppen“.
Entlastungsoption: Befindet sich das Unternehmen in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, so kann es allerdings bei der Prüfung der Anpassungsverpflichtung „nach billigem Ermessen“ ggf. auch die Rentenanpassung vermindern oder aussetzen. Um dabei ein Größtmaß an Rechtssicherheit zu erlangen, empfiehlt sich in diesem Fall die Erstellung einer sog. Substanzerhaltungsanalyse. Anhand der allgemeinen Rechtsprechung zu diesem Thema wird dabei für jeweils drei Jahre in die Vergangenheit und die Zukunft die wirtschaftliche Lage des Unternehmens untersucht. Bei hinreichend schlechter Prognose kann auf dieser Grundlage auch ein Aussetzen der Rentenanpassung als Sanierungsmaßnahme in Betracht kommen.
Handlungsbedarf: Aufgrund der derzeit hohen Inflation stehen alle inflationsabhängigen Prämissen bei der Bewertung der Pensionsverpflichtung unter Beobachtung. Rententrends unterhalb von zwei Prozent sind kaum mehr zu rechtfertigen. Viele Unternehmen wählen Werte im Bereich zwischen 2,0 und 2,6 Prozent. Aber auch die Annahmen zur Entwicklung von Gehalt, Beitragsbemessungsgrenze oder anderer Sozialversicherungsgrößen sollten kritisch überprüft und angemessen angepasst werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es sich hierbei um Langfristannahmen handelt.
Aufmerksame Arbeitgeber haben schon seit geraumer Zeit ein Auge auf Sensitivitätsberechnungen, wissen also, wie empfindlich ihre Pensionsverpflichtungen auf verschiedene Annahmeänderungen reagieren. Bei den derzeit sehr hohen Schwankungen bei Inflation und Zins sind diese Berechnungen allerdings ggf. entsprechend anzupassen.
Entlastungsoption: Viele Unternehmen setzen seit Jahren auf flexiblere Auszahlungsoptionen. Auch bei bestehenden Rentenzusagen lässt sich nachträglich noch eine Kapitaloption einführen. Dies erhöht die Flexibilität für den Mitarbeiter und reduziert je nach Annahme das Inflationsrisiko.
Aus Mitarbeiter-Sicht gibt es maximalen Inflationsschutz leider nur in einer Zusageart: der Endgehaltszusage. Mittlerweile herrschen jedoch beitragsbezogene Plangestaltungen vor. Aus der Gestaltungsperspektive wurde das Thema Inflationsschutz dabei oftmals eher stiefmütterlich behandelt, was nach Jahren geringer realisierter Inflation und dem starken Fokus auf nominalen Garantien in der deutschen bAV auch nicht überrascht. Im Ergebnis wurde bzw. wird viel über den nominalen, aber wenig über den inflationsbereinigten, realen Werterhalt gesprochen.
Gleichwohl wünschen sich 74 Prozent der Mitarbeitenden, dass ein Pensionsplan Schutz gegen Inflation bieten sollte. Diesen können kapitalmarktorientierte Gestaltungen mit Investition in Realwerte (wie z.B. Aktien) abbilden. Jüngster Vertreter dieser Klasse von Plangestaltungen ist dabei die reine Beitragszusage im Sozialpartnermodell. Dies betrifft nicht nur die Ansparphase, sondern insbesondere auch die Leistungsphase über geeignete Zielrentensysteme oder kapitalmarktorientierte Ratenmodelle. Diese Gestaltungen sind im Übrigen nicht der reinen Beitragszusage vorbehalten, sodass hier noch viel Potential gehoben werden kann.
Jüngste Erhebungen zeigen im Übrigen auch, dass die Akzeptanz solcher Gestaltungen bei den Mitarbeitenden höher ist als dies oftmals vermutet wird: So sehen zumindest 82 Prozent der Mitarbeiter eine Anbindung an den Kapitalmarkt als wichtig an. Insofern ist davon auszugehen, dass Inflationsschutz und kapitalmarktorientierte Plangestaltung künftig eine noch wichtigere Rolle einnehmen werden.
Unternehmen sollten das aktuelle Inflations- und Marktumfeld zum Anlass nehmen, ihre bestehenden bAV-Systeme auf den Prüfstand zu stellen. Dies betrifft nicht nur die Prämissenfestsetzung und Prognoserechnungen, sondern die gesamte Gestaltung der bAV. Dabei sollten sowohl die Risiken für die Unternehmen als auch die Attraktivität der Plangestaltung aus Sicht der Mitarbeiter betrachtet werden. Dabei gilt: bAV-Systeme sind im Guten wie im Schlechten langfristig ausgelegt. Entscheidungen sollten also nicht allein auf Basis eines ggf. nur kurzfristigen Geschehens getroffen werden.
Speziell in unsicheren Zeiten lohnt sich eine proaktive Kommunikation gegenüber den Mitarbeitern – auch in Bezug auf die bAV.