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Artikel | Risk Perspectives

Selbstbestimmt Risiken absichern mit Captives

Von Moritz Enderle | 19. Dezember 2022

Anhaltende Krisen stellen einen Kraftakt für den Welthandel dar. Unternehmen müssen sich jetzt mehr als bisher gegen das Risiko eines potenziellen Zahlungsausfalls absichern. Captives gewinnen dabei an Bedeutung. 
Captive and insurance management solutions
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Nachdem die Pandemie die Weltwirtschaft bereits seit mehr als zwei Jahren in einen dauerhaften Ausnahmezustand versetzt hatte, verschärfte sich die Situation dieses Jahr durch den Krieg in der Ukraine weiter. Dieser löste neben großem menschlichem Leid auch gravierende Folgen für die Ökonomie aus: Steigende Rohstoffpreise setzen viele Wirtschaftssektoren unter Druck, darunter das Transportwesen, die Grundstoff-, Verpackungs- und Lebensmittelindustrie. Betroffene Unternehmen können Kostensteigerungen aber nur begrenzt an ihre Kunden weitergeben. Darüber hinaus sorgen steigende Zinsen für eine Verteuerung von Krediten.

Mögliche Konsequenzen: Einigen Firmen könnten künftig nicht genügend liquide Mittel zur Verfügung stehen, um ausstehende Forderungen zu begleichen. In Folge dieser Entwicklungen ist mit erhöhten Zahlungsausfällen und Insolvenzen zu rechnen. Unternehmen müssen sich daher umfassend gegen potenzielle Verluste, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit ihrer Kunden ergeben können, absichern.

Alternativen im Risikomanagement gesucht

Bisher galt die Warenkreditversicherung als gängiger Schutz vor Forderungsausfällen. Anders als in anderen Sparten gab es bei der Warenkreditversicherung bisher keinen Kapazitätsrückgang zu verzeichnen. Doch die Anbieter stehen durch die wirtschaftlichen Entwicklungen vor Herausforderungen: Die abgesicherten Deckungssummen sind in den letzten Jahren dem Wachstum vieler Unternehmen entsprechend gestiegen. Sollte es zu einer höheren Zahl an Insolvenzen kommen, sind es vor allem die gestiegenen Deckungssummen, die den Versicherern Probleme bereiten werden. Die positive Schaden-Kosten-Quote der letzten Jahre könnte somit eine Kehrtwende erleben und Versicherer könnten infolgedessen ihre Kapazitäten künftig einschränken.

Wer sich mehr Planungssicherheit im Risikomanagement wünscht, sollte daher neue Möglichkeiten des Risikotransfers erschließen. Eine Lösung, die sich sowohl international als auch in Deutschland steigender Beliebtheit erfreut, ist die Gründung einer Captive.

Captives mit immer mehr Einsatzmöglichkeiten

Als konzerneigenes Versicherungsunternehmen stellt die Captive eine Tochtergesellschaft dar. Sie deckt die Risiken der Muttergesellschaft sowie ihrer Schwestergesellschaften ab. Innerhalb der letzten 15 bis 20 Jahre entwickelte sie sich immer mehr zu einer bewährten Lösung im Risikomanagement. Waren am Anfang nur die „Klassiker“ – wie die Sach-, Haftpflicht- und Transportversicherungen – Captive-fähig, gibt es heute bereits (Teil-) Lösungen für weitere Sparten wie der Managerhaftpflicht- (D&O), der Cyber- oder auch der Warenkreditversicherung. Aufgrund ihrer zunehmenden Einsatzmöglichkeiten rückt die Captive daher immer mehr ins Rampenlicht – nicht nur bei den klassischen Industrieunternehmen, sondern auch bei Mittelständlern. 

Größerer Verhandlungsspielraum

Im Gegensatz zu anderen Risikotransferlösungen stellt die Captive keine 100-prozentige Alternative zur Versicherung dar. Sie ist vielmehr eine Unterstützung, die Unternehmen unter anderem in eine günstigere Position auf dem Versicherungsmarkt bringt. Denn eine Captive wird meist dafür eingesetzt, einen Teil der Risiken selbst zu tragen. Das gewährt den Unternehmen einen größeren Verhandlungsspielraum mit kommerziellen Warenkreditversicherern. Durch die Captive ist der Anteil an Selbstbehalt groß und zurückhaltende Versicherer sind eher bereit, das Restrisiko zu übernehmen.

Von ökonomischen Vorteilen profitieren

Welches Ausmaß die Handelsrisiken eines Unternehmens annehmen können und wie hoch die potenziellen Kosten im Schadenfall ausfallen, ist eine individuelle Fragestellung. Diese unterscheidet sich von Organisation zu Organisation. Wird das Risiko eines Zahlungsausfalls als niedrig eingeschätzt, verlangen viele Unternehmen von ihrem Versicherer eine entsprechend niedrige Prämie. Eine Garantie dafür, dass der Markt dieses Niveau auch zukünftig beibehält, besteht jedoch nicht. Dadurch ist eine zuverlässige Planung nur schwer möglich. Mit einer Captive hingegen können Unternehmen mögliche Prämienerhöhungen umgehen und eine langfristig planbare, auf die eigenen Anforderungen abgestimmte Prämie ansetzen. Außerdem bleibt das Kapital durch die Captive innerhalb der Organisation. Tritt kein Schaden auf, lässt sich die Prämie beispielsweise über eine Dividende an die Muttergesellschaft ausschütten.

Ein weiterer Vorteil von Captives ist die Möglichkeit von Investment-Einnahmen. Spielten diese durch die Nullzinspolitik lange Zeit keine Rolle, gewinnen sie nun wieder an Bedeutung. Genau wie kommerzielle Versicherer kann die Captive Geld am Kapitalmarkt anlegen und Gewinne erwirtschaften. 

Das Einsatzgebiet der Captive kann ebenso auf die vertriebliche Tätigkeit einer Organisation ausgeweitet werden. Verkaufen Unternehmen Produkte, für die eine teure oder schwer zu beschaffende Versicherung nötig wäre, kann sich das negativ auf die Verkaufszahlen auswirken. Über eine Kundenmitversicherung können Unternehmen hingegen beispielsweise eine Garantieverlängerung zu günstigeren Preisen anbieten. Die Captive wird damit nachhaltig in die Unternehmensstrategie eingebunden und trägt so zum wirtschaftlichen Erfolg bei.

 

Kosten sparen durch präventives Risikomanagement

Durch die höhere Eigentragung von Risiken steigt das Bewusstsein für Schadenverhütung in einer Organisation. Das Risikomanagement durchlebt zwangsläufig eine Veränderung. Unternehmen sind mehr darauf bedacht, Risiken und Schäden möglichst gering zu halten und präventive Maßnahmen einzuleiten. Der strategische Ansatz verlagert sich damit von dem bisher reaktiven Risikomanagement zu einem vorausschauenden, proaktiven Risikomanagement. Dies kann sich ebenso positiv auf die Verhandlungen mit Versicherern auswirken. Beweist das Unternehmen, dass es präventive Lösungen zur Risikominimierung implementiert hat, sind die Versicherer eher bereit, mehr Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. 

Captive-Gründung – Ja oder nein?

Angesichts mangelnder Planungssicherheit sowie der steigenden Bedrohung durch weltweite Krisen ebenso wie durch Naturkatastrophen oder Cyber-Angriffe kommen Unternehmen nicht umhin, sich mit Captives auseinanderzusetzen. Wer überlegt, eine Captive zu gründen, sollte zuallererst die eigenen Herausforderungen identifizieren: Welchen Risiken in welcher Höhe ist das Unternehmen ausgesetzt? Reicht die Deckung eventuell nicht aus? Anschließend gilt es festzustellen, ob die Captive eine geeignete Strategie zur Absicherung dieser Risiken ist. Je nach Risikobeschaffenheit, Sparte und Schadenhäufigkeit braucht es zudem einen gewissen Prämienumfang. Die Höhe des einzubringenden Kapitals sollte dabei nicht unterschätzt werden. Ebenfalls wichtig zu bedenken: Die Captive-Gründung stellt eine strategische und damit langfristige Form der Risikofinanzierung dar. Das Projekt fordert von den Unternehmen daher ein großes Commitment.

Auch die Verantwortungsverpflichtung, die von der Muttergesellschaft gefordert wird, ist in der Abwägung ein wichtiger Faktor. Denn eine junge Captive verfügt noch über kein externes Rating, muss aber bereits eine Vielzahl von Risiken zeichnen. Zusätzlich gibt es nur kein bis wenig angespartes Kapital. Sollten anfallende Schäden höher ausfallen als die festgelegte Versicherungsprämie, kann die Captive die Kosten unter Umständen nicht allein tragen und muss von extern finanziell gestützt werden. 

Seit einigen Jahren ist im europäischen Raum bereits ein Zuwachs einer besonderen Captive-Form – der Protected Cell Company – zu verzeichnen. Diese stellt eine Möglichkeit für Unternehmen dar, sich in eine bereits bestehende Captive „einzumieten“. Das reduziert den administrativen Aufwand und die damit einhergehenden Kosten deutlich. Im Gegenzug müssen Unternehmen jedoch Einbußen an Flexibilität und Selbstentscheidung hinnehmen

Die Zukunft der Captive

Die Risikolandschaft wird in Zukunft an Komplexität gewinnen. Der Bedarf an Risikoabsicherung wird steigen, das Angebot sich jedoch mittelfristig voraussichtlich nicht erhöhen. Aus diesem Grund etablieren sich Captives als unterstützende Lösung, um die nötige Risikodeckung zu selbstgesetzten Konditionen zu erhalten. Trotz administrativen Aufwands und nicht unerheblicher Kosten, überwiegen für viele Unternehmen die Vorteile. Ihnen bietet sich eine neue, selbstbestimmtere Art der Risikoabsicherung, losgelöst von den Einschränkungen des Marktes. Darüber hinaus kann die Captive zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen und wird durch Zusatzleistungen im Kundengeschäft zum USP.

Quelle: „Die VersicherungsPraxis 7/8-2022“


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