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Artikel | Risk Perspectives

Wirtschaftsmacht China

WTW Risk Summit 2023

30. Juni 2023

China steht für wirtschaftliche Chancen und Risiken. Der China-Experte Frank Sieren sagt, worauf es aus seiner Sicht jetzt ankommt.
Credit and Political Risk
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Herr Sieren, welche Bedeutung hat China in Zukunft für die Weltwirtschaft?

Frank Sieren: Mit heute schon 18 Prozent Anteil an der Weltwirtschaft, bei einem Prokopfeinkommen in der Höhe von Rumänien, wird China in den nächsten Jahren von einem zentralen Spieler, wahrscheinlich zu dem zentralen Spieler der Weltwirtschaft, nicht nur als Absatzmarkt und Fabrik der Welt, sondern vor allem auch als zentraler Innovationstreiber. 

China wird vor allem zu einem Land, das die Spielregeln der Weltwirtschaft und deren Institutionen in Richtung einer multipolaren Weltordnung verändern wird. Dabei hat es die Mehrheit der Welt hinter sich. Denn viele aufsteigende Länder haben sich mit China zusammengetan, um zu verhindern, dass die globale Minderheit des Westen die Spielregeln der Mehrheit der Welt weiter bestimmen kann. Wir stehen vor einem epochalen Wandel, in dem mehrere Jahrhunderte westlicher Dominanz zu Ende gehen. 

Was bedeutet das für die Rolle der EU und Deutschlands?


Frank Sieren: Die EU und Deutschland haben die Chance, in dieser neuen multipolaren Weltordnung eine Art Zünglein an der Waage zu werden. Dafür müssen sie allerdings beginnen, ihre eigenen Interessen zu vertreten, jenseits einer Allianz mit den USA, die andere Interessen haben, und ohne den Chinesen in die Arme zu fallen.

Europa sollte sich dann wechselnde globale Kooperationspartner suchen, je nach Interesse. Dazu müsste Europa allerdings erst einmal wissen, was es will und einig sein. Davon sind wir weit entfernt. Das gilt auch für Deutschland und selbst für die aktuelle Regierungskoalition. 

Eines ist klar: Am globalen Tisch, an dem die neuen Werte und Spielregeln der Welt ausgehandelt werden, sitzen die Europäer nur, wenn sie wirtschaftlich stark sind. Früher hat dem Westen der Tisch gehört. Doch das ist längst Geschichte. In dieser Hinsicht spielen Werte und Wirtschaft Hand in Hand. 

Welche Risiken folgen daraus für Unternehmen in Deutschland?

Frank Sieren: Das größte Risiko ist nicht die Abhängigkeit von China oder das unausgewogene Level Playing Field, sondern dass es uns nicht mehr gelingt, global wettbewerbsfähige Produkte zu vernünftigen Preisen in einer angemessenen Geschwindigkeit anzubieten. Und was wettbewerbsfähig, preiswert und schnell ist, entscheiden nicht mehr wir in Deutschland, sondern vor allem die Konsumenten in Asien.

Der große Test ist derzeit die Autoindustrie. Wir können ihn bestehen, aber nur, wenn wir uns ein realistisches Bild der Chinesen und anderer aufsteigender Mächte machen, bei dem wir Stärken und Schwächen dieser Wettbewerber realistisch gewichten und nicht nur auf deren Schwächen herumreiten und uns so in Sicherheit wiegen.

Und welche Chancen sehen Sie dabei für die Unternehmen?

Frank Sieren: Da sich die Mittelschicht in China und im weiteren Asien erst noch zu voller Größe entfaltet – die Wirtschaft aller ASEAN Länder ist so groß wie die von Japan – sehe ich riesige Wachstumschancen für deutsche Unternehmen, wenn es ihnen gelingt, die richtigen Produkte zur rechten Zeit auf den Markt zu bringen.

Das Wichtigste nun: Die Unternehmen müssen wissen, was China und die anderen Märkte brauchen, ihre Innovationsgeschwindigkeit erhöhen und sich schneller an Marktveränderungen anpassen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Regional Comprehensive Economic Partnership, kurz RCEP, also die größte Freihandelszone der Welt; sie umfasst China und Asien, ohne Indien, inklusive Japan und Australien. Nur von selbst passiert unser wirtschaftlicher Erfolg nicht mehr. Wir müssen uns mehr denn je anstrengen. Denn der lokale Wettbewerb ist härter denn je.

Wie sollten die Unternehmen mit ihrem strategischen Risikomanagement auf diese Lage reagieren?

Frank Sieren: Sie sollen ihr Risikomanagement neu und umfassender aufstellen und sich viel tiefgehender als bisher mit den Chancen Chinas – Wachstum, Kaufkraft, staatliche Weitsicht, Innovationskraft, Konsumfreudigkeit – als auch mit den Risiken auseinandersetzen; zu diesen Risiken gehören die Spannungen zwischen China und Taiwan, die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler Unternehmen von China, dessen autoritäres System, staatliche Eingriffe, rechtsstaatliche Lücken und Umweltprobleme.

Es reicht längst nicht mehr, sich dabei auf die Berichterstattung in den Medien zu verlassen. Früher, als der Westen die Spielregeln noch bestimmen konnte, war es nicht nötig, sich intensiv mit China und seinen asiatischen Partnern zu beschäftigen. Das ist heute anders: Realistische, verlässliche, mittelfristig haltbare Informationen zu bekommen, ist der entscheidende Faktor für ein solides Risikomanagement als Basis für eine bodenständige Unternehmensstrategie. 


Frank Sieren auf dem WTW Risk Summit
Frank Sieren beim WTW Risk Summit 2023

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