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Artikel | Benefits Perspectives

bAV: Umstellung von Rente auf Kapital

BAG vom 20.6.2023 – 3 AZR 231/22

Von Sebastian Löschhorn, LL.M. | 30. November 2023

Die Umstellung einer Rentenzusage auf eine Kapitalzusage bedarf – auch bei nur teilweiser Umstellung – einer Rechtfertigung (BAG-Urteil).
Health and Benefits|Retirement
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Das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) befasste sich mit der Frage, ob die für den Kläger ursprünglich geltende Versorgungsregelung wirksam durch eine Nachfolgeregelung abgelöst wurde.

Der Kläger war seit 1992 leitender Angestellter bei der Beklagten. 1995 wurde bei der Beklagten eine Sprecherausschussvereinbarung (SprAuV 1995) über eine endgehaltsabhängige Zusage abgeschlossen, die ausschließlich Rentenleistungen vorsah.

Zum Stichtag 31.12.2003 wurde die SprAuV 1995 durch eine nachfolgende SprAuV (SprAuV 2004) abgelöst. Sowohl die SprAuV 1995 als auch die SprAuV 2004 galten unmittelbar und zwingend. Die SprAuV 2004 hatte ein beitragsorientiertes Pensionssystem zum Gegenstand, welches seit 2000 bereits für Neueintritte galt.

Das neue Pensionssystem regelt zum einen den Aufbau von Rentenbausteinen. Auch der für die Ablösung der SprAuV 1995 gewährte Startbaustein, wird als Rentenbaustein gewährt.

Zum anderen werden für Entgeltbestandteile oberhalb einer sog. Rentenschwelle Kapitalbausteine aufgebaut, in deren Höhe den Mitarbeitern fiktive Anteile an einem Vorsorgefonds zugeteilt werden. Hieraus wird den Mitarbeitern als Versorgungsleistung die Summe der Kapitalbausteine zzgl. Überschüssen aus der Entwicklung des Fondsvermögens gewährt, welche sich ein Mitarbeiter als Einmalbetrag, in Raten oder als Rente auszahlen lassen kann. Die Verrentung erfolgt über den ChemiePensionsfonds. Im Jahr 2019 führte die Beklagte zudem ein Kapitalwahlrecht für die Versorgungsleistung aus den Rentenbausteinen ein.

Ein während des Gerichtsprozesses durch die Beklagte eingeholtes versicherungsmathematisches Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass sich der Barwert der gesamten Versorgungsleistungen durch die Ablösung um ca. 50 Mio. Euro erhöht hat und damit um ca. 14 Prozent.

Der Kläger hat in dem Verfahren geltend gemacht, dass für ihn (mangels Rechtfertigung eines Eingriffs bzw. aufgrund unangemessener Benachteiligung durch die Teilkapitalisierung) weiterhin Versorgungsansprüche nach der SprAuV 1995 bestehen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht (LAG) hat die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen.

Ablösungsprinzip gilt auch für Sprecherausschussvereinbarungen

Das BAG hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache aufgrund von Rechtsfehlern in der Urteilsbegründung an das LAG zurückverwiesen.

Zunächst stellt das BAG fest, dass das für Betriebsvereinbarungen anwendbare Ablösungsprinzip auch für unmittelbar und zwingend geltende SprAuVen gilt. Eine Ablösung der SprAuV 1995 durch die nachfolgende SprAuV 2004 war also grundsätzlich möglich.

Ob die SprAuV 2004 die SprAuV 1995 wirksam abgelöst hat, stehe aber noch nicht fest, da das LAG die erforderliche Interessenabwägung bzgl. der teilweisen Umstellung von Rente auf Kapital rechtsfehlerhaft vorgenommen hat. Hierzu bedarf es nach Ansicht des BAG zunächst weiterer Feststellungen durch das LAG.

Umstellung einer Rentenzusage auf Kapitalzusage erfordert Interessenabwägung

Das BAG wiederholt in dem Urteil die bereits im Urteil vom 15.5.2012 – 3 AZR 11/10 – aufgestellten Grundsätze zur Umstellung von Rente auf Kapital. Danach sei im Ergebnis ein Wechsel zu Kapital nur dann nicht zu beanstanden, wenn das Interesse des Arbeitgebers an der Umstellung das Interesse des Arbeitnehmers an der Rente erheblich überwiegt. Ausgehend von diesen Grundsätzen, erweise sich die Interessenabwägung des LAG als rechtsfehlerhaft.

Alle Folgen der Ablösung betrachten

So habe das LAG offengelassen, ob ein Eingriff in die dritte Besitzstandsstufe gegeben ist und damit nicht alle für die Interessenabwägung erforderlichen Feststellungen getroffen. Für die Interessenabwägung müsse nämlich feststehen, ob die Ablösung der früheren Zusage einzig in Bezug auf die Umstellung von Rente auf Kapital für den Arbeitnehmer nachteilig ist oder ob auch die Versorgungsleistungen geringer ausfallen.

Das LAG habe außerdem außer Acht gelassen, dass die wechselseitigen Interessen unterschiedlich zu bewerten sind, je nachdem, in welchem Umfang dem Arbeitnehmer die bisher zugesagten Leistungen auch künftig als Renten zustehen. Zudem sei zu beachten, dass eine unterschiedliche Bewertung und Gewichtung der Interessen geboten ist, wenn die Umstellung nur den Teil der Versorgung betrifft, der sich aus den künftigen dienstzeitabhängigen Zuwächsen ergibt.

Im Anschluss gibt das BAG noch Hinweise zu der Vergleichsberechnung zwischen Alt- und Neuzusage und führt u. a. aus, dass für die Umrechnung der Kapitalleistung in eine Rente nicht die zum Zeitpunkt der Ablösung anzuwendenden Heubeck-Richttafeln 1998 zugrunde zu legen sind, sondern die bei Eintritt des Versorgungsfalls aktuellen Richttafeln.

Gegenläufige Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewichten

Zu guter Letzt trifft das BAG folgende Feststellungen:

  • Stehen dem Arbeitnehmer nach der Altzusage höhere Leistungen zu und sind keine Rechtfertigungsgründe für einen Eingriff gegeben, wäre die Ablösung unwirksam und es käme nicht mehr auf die Rechtmäßigkeit der teilweisen Umstellung auf Kapital an.
  • Sind die Leistungen aus der Neuzusage dagegen gleich hoch oder höher, ist gesondert zu prüfen, ob die teilweise Umstellung auf Kapital rechtmäßig war.

In letzterem Fall sei im Rahmen der Interessenabwägung von Belang, in welchem Verhältnis die beiden Teile (Rente und Kapital) zueinanderstehen. Je höher der Anteil der Rentenleistung ist, desto geringer ist das Gewicht des Interesses des Arbeitnehmers an einer vollständigen Beibehaltung der Rente. Zugunsten der Beklagten sei eine höhere Leistung aus der Neuzusage zu gewichten. Auch das Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers sei zu beachten.

Hinweise für die Praxis

Die Ausführungen des BAG zur teilweisen Umstellung von Rente auf Kapital sind nachvollziehbar. Allerdings führt die vom BAG propagierte individuelle Interessenabwägung dazu, dass die Rechtswirksamkeit von Ablösungen dauerhaft in Frage gestellt werden können, da sie nicht kollektiv, sondern jeweils anhand der Umstände des Einzelfalls und regelmäßig erst bei Eintritt des Versorgungsfalles überprüft werden. Damit verbleiben Unsicherheiten für Arbeitgeber.

Und auch soweit das BAG in dem Urteil nichts dazu sagt, welcher Rechnungszins bei der Vergleichsberechnung zwischen Rente und Kapital anzusetzen ist, bleibt es der Praxis weiterhin eindeutige Vorgaben für seine in ständiger Rechtsprechung für Eingriffe in Besitzstände vertretene ergebnisbezogene Betrachtung schuldig.

Autor


Rechtsanwalt, Associate Director Retirement, Legal

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