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Artikel | Benefits Perspectives

Betriebliche Invaliditätsleistungen: Ausscheideerfordernis

Die aktuelle Rechtsprechung des BAG

Von Dr. Andreas Hufer | 18. März 2024

Das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis darf eine Voraussetzung für betriebliche Invaliditätsleistungen sein – jedoch nur unter bestimmten Bedingungen, wie das BAG unlängst geklärt hat.
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Zwei Sachverhalte – zwei abgewiesene Klagen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte im letzten Quartal 2023 gleich über zwei Sachverhalte zu entscheiden, in denen betriebliche Versorgungszusagen (VZ) ein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis als Voraussetzung für betriebliche Invaliditätsleistungen vorsahen.

Im ersten Sachverhalt (3 AZR 250/22) war die Versorgungszusage keine Betriebsvereinbarung, sondern wohl ein Formularvertrag, also eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB). Im zweiten Sachverhalt (3 AZR 14/23) lag eine Betriebsvereinbarung vor. Beide VZ stellten noch auf die Invaliditätsbegriffe des früheren Sozialversicherungsrechts ab, also auf Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Beide VZ setzten für betriebliche Invaliditätsleistungen voraus,

  • dass der Versorgungsberechtigte aus dem Arbeitsverhältnis, das der VZ zu Grunde liegt, ausgeschieden ist und
  • Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) wegen Berufs- bzw. Erwerbsminderung bezog.

Die GRV hatte den Arbeitnehmern jeweils durch Bescheid eine Rente wegen Erwerbsminderung rückwirkend bewilligt. Die bewilligte Leistung richtete sich jeweils nach den Begrifflichkeiten des aktuell geltenden Sozialversicherungsrechts. In beiden Sachverhalten gewährte der beklagte Arbeitgeber für den Zeitraum seit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis die betriebliche Invaliditätsleistung. Die Kläger klagten jeweils auf Nachzahlung von Invaliditätsleistungen für einen Zeitraum bis zum rechtlichen Ende ihrer Arbeitsverhältnisse.

Im ersten Sachverhalt betraf dies den Zeitraum zwischen Erhalt des Bescheids der GRV und dem über ein Jahr späteren Ablauf der Kündigungsfrist. Der Arbeitnehmer hatte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht sofort mit Erhalt des Bescheides ausgesprochenen. Im zweiten Sachverhalt verlangte der Kläger Nachzahlung für den Zeitraum von der rückwirkenden Bewilligung der Erwerbsminderungsrente der GRV bis zum rechtlichen Ende seines Arbeitsverhältnisses zum Ende desjenigen Monats, in dem ihm der Bescheid der GRV zugegangen war. Das BAG hat beide Klagen abgewiesen.

Invaliditätsbegriff der gesetzlichen Rentenversicherung

Das BAG bestätigt damit erneut seine langjährige Rechtsprechung, wonach die in betrieblichen Versorgungszusagen verwendeten Begriffe Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich als dynamischer Verweis auf das Sozialversicherungsrecht zu verstehen sind. Grundsätzlich erfüllt eine im Bescheid der GRV festgestellte teilweise bzw. volle Erwerbsminderung damit die in einer VZ geforderte Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.

Ausscheiden ist das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses

Das BAG legt das Ausscheiden als endgültige, rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus. Ein bloßes Ruhen der Hauptleistungspflichten reicht dafür nicht aus. Insoweit sieht das BAG bei den ihm vorgelegten VZ insoweit auch keine Unklarheit, die die Anwendung der so genannten Unklarheitenregelung (§ 305c Abs. 2 BGB) rechtfertigt. Nach dieser Regelung gehen Unklarheiten in Versorgungszusagen im Ergebnis zu Lasten des Arbeitgebers.

Keine unangemessene Benachteiligung, soweit ein Bescheid der GRV maßgeblich ist

Die inhaltliche Prüfung von Versorgungszusagen hängt davon ab, welche Rechtsqualität die jeweilige Versorgungszusage hat. Betriebsvereinbarungen müssen nach § 75 Betriebsverfassungsgesetz mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und den Freiheitsrechten der Arbeitnehmer vereinbar sein. AGB müssen einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff BGB standhalten.

Hinsichtlich der Frage, ob eine Versorgungszusage das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis als Voraussetzung für eine betriebliche Invalidenleistung vorsehen darf, laufen beide Maßstäbe nach Auffassung des BAG gleichermaßen auf folgende Interessenabwägung hinaus:

  • Der Arbeitgeber habe ein berechtigtes Interesse daran, Doppelleistungen zu vermeiden und Planungssicherheit in Bezug auf den vom Arbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz zu erhalten.
  • Der Arbeitnehmer habe ein berechtigtes Interesse daran, autonom darüber zu entscheiden, am Arbeitsverhältnis festzuhalten oder es aufzugeben. Dies gelte vor allem bei einer nur befristeten Erwerbsminderungsrente aus der GRV.

Der Druck auf den Arbeitnehmer, das Arbeitsverhältnis aufzugeben, ist nach Auffassung des BAG aber nicht unzumutbar, wenn die Entscheidung erst zu einem Zeitpunkt getroffen werden muss, zu dem der Arbeitnehmer weiß, ob er die Anforderungen für die betriebliche Invaliditätsleistung erfüllt.

Das ist gegeben, wenn die Voraussetzungen der betriebliche Invaliditätsleistung durch einen vorliegenden Bescheid der GRV nachgewiesen sind und der Arbeitgeber nicht über einen zusätzlichen eigenen Prüfungszeitraum verfügt. Dies gelte auch dann, wenn die Erwerbsminderungsrente aus der GRV nur befristet bewilligt wurde. Der Arbeitgeber ist vor allem nicht verpflichtet, einen zeitlichen Gleichklang mit dem rückwirkenden Bezugsbeginn der Erwerbsminderungsrente aus der GRV herzustellen.

Das BAG hat für Klarheit gesorgt

Entscheidend ist zunächst der in der Versorgungszusage verwendete Invaliditätsbegriff. Die hier behandelten Wertungen des BAG betreffen Sachverhalte, in denen die Versorgungszusage auf die früheren Begriffe (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) oder aktuellen Begriffe (vollständige oder teilweise Erwerbsminderung) des Sozialversicherungsrechts abstellt.

Die Anforderungen dieser Begriffe können insbesondere durch einen Bescheid der GRV nachgewiesen werden. In der Praxis ist das auch der üblicherweise in VZ verlangte Nachweis. Etwas anderes gilt häufig vor allem bei Direktversicherungen, Pensionskassen und auch bei Direktzusagen, deren Leistungshöhe von der Umsetzung definierter Beiträge in einer Rückdeckungsversicherung abhängt. Bei solchen Versorgungszusagen im Umfeld von Versicherungslösungen wird häufig der bei Versicherungen verbreitete und vom Sozialversicherungsrecht abweichende Invaliditätsbegriff des Versicherungsvertragsgesetzes verwendet (vgl. insb. § 172 Versicherungsvertragsgesetz).

Entscheidend dafür, ob die hier besprochenen Wertungen des BAG für eine konkrete Versorgungszusage einschlägig sind, ist zudem die genaue Formulierung in der Versorgungszusage, also ob dort das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis hinreichend eindeutig vorausgesetzt ist.

In der Praxis hatte eine bezogen auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) einer Pensionskasse ergangene frühere Entscheidung des BAG – vom 13.07.2021, 3 AZR 298/20 – für erhebliche Unsicherheit gesorgt. Dort war eine wohl eigenständige Definition des Invaliditätsbegriffs niedergelegt, die allerdings unter anderem auch durch einen Bescheid der GRV nachgewiesen werden konnte.

Das BAG hat in den beiden Entscheidungen im Jahr 2023 zur Abgrenzung klargestellt, dass nach seinem Verständnis im Sachverhalt der Entscheidung aus 2021 die Entscheidung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt habe getroffen werden müssen, zu dem der Versorgungsberechtigte nicht wissen konnte, ob er Anspruch auf die betriebliche Invaliditätsrente haben würde. Es ist erfreulich, dass das BAG durch die Entscheidungen im Jahr 2023 zu dieser Frage nun für die praktisch wichtigsten Konstellationen Klarheit geschaffen hat.

Autor


Rechtsanwalt, Director Retirement, Legal

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