Die Prognosen für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland wurden in den letzten Monaten immer weiter nach unten korrigiert. Die deutsche Wirtschaft befindet sich aufgrund der Veränderung vieler Rahmenbedingungen in einer Krise. Viele Branchen und Unternehmen stehen vor einem notwendigen Anpassungs- und Transformationsprozess. Auch die betriebliche Altersversorgung (bAV) und ihre Organisation sind davon betroffen.
Ein Grund dafür ist der demografische Wandelder mittlerweile auch in den Unternehmen angekommen ist. Die geburtenstarken Babyboom-Jahrgänge gehen in den Ruhestand, ohne dass in gleichem Maße junge Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt kommen.[1] Die betriebliche Altersversorgung und ihre Ausgestaltung sind vom demografischen Wandel besonders betroffen. Zum einen muss der Übergang der Babyboomer in den Ruhestand von der bAV-Organisation begleitet werden. Dazu gehören die Information der rentennahen Jahrgänge, die Berechnung bzw. Festlegung der Leistungen sowie die Betreuung der Versorgungsberechtigten. Zum anderen zählen auch viele bAV-Fachkräfte zu den Babyboomern, die kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand stehen. Zudem geht der demografische Wandel mit einer Verknappung der Arbeitskräfte einher. Insgesamt werden auch den bAV-Trägern weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen bzw. die Arbeitskosten steigen.
Darüber hinaus sehen sich bAV-Entscheider mit weiteren Herausforderungen konfrontiert. Dazu zählen die gestiegenen Erwartungen an bAV-Servicedienstleistungen hinsichtlich Leistungsumfang und -qualität, die rasante technologische Entwicklung und die Unsicherheit durch Regulierung. In den letzten Monaten haben sich einige Bedingungen verändert, die besondere Aufmerksamkeit der bAV-Entscheider verdienen.[2]
Insgesamt ist der Druck auf bAV-Verantwortliche gestiegen, die bAV und ihre Organisation auf den Prüfstand zu stellen, um diese nachhaltig für die Zukunft auszurichten.
Die wirtschaftliche Entwicklung und die damit verbundenen Herausforderungen sind von Branche zu Branche und von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich. Dennoch gibt es Herausforderungen für die Gestaltung der bAV und deren Organisation, die im Wesentlichen alle Unternehmen betreffen.
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Viele Unternehmen haben in den letzten Monaten angesichts veränderter Rahmenbedingungen (z.B. hinsichtlich Energiepreise, globale Absatzmärkte, Lieferketten, Konjunkturaussichten, Demografie) Anpassungs- und Transformationsprozesse eingeleitet. Geschäftsmodelle, Organisation und Beschaffung stehen auf dem Prüfstand. Neue Möglichkeiten durch neue Technologien sind dabei ein entscheidender Faktor. Auch die betriebliche Altersversorgung und ihre Organisation sind davon betroffen. Die Digitalisierung bietet die Chance, Prozesse effizienter zu gestalten und gleichzeitig den steigenden Anforderungen an ein modernes bAV-Management gerecht zu werden. Auch wenn die Digitalisierung in den letzten Jahren vorangeschritten ist, gibt es in einigen Bereichen (z.B. Digitalisierung der Rentnerbetreuung) noch Nachholbedarf und Potenzial für weitere Produktivitätssteigerungen.[3]
Mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist es für die bAV-Entscheider nicht einfacher geworden, die notwendige Digitalisierung bei insgesamt knapperen Budgets voranzutreiben. Traditionell steht die betriebliche Altersversorgung in vielen Unternehmen nicht ganz oben auf der Prioritätenliste bei der Vergabe von IT-Budgets. Die bAV-Verantwortlichen müssen daher mehr denn je die Wirtschaftlichkeit ihrer Digitalisierungsprojekte durch eine geeignete Strategie nachweisen.
Die Zeit für Veränderungen ist jedoch überfällig, denn die Auswirkungen des demografischen Wandels sind bereits spürbar. Die Kombination aus Mehraufwand in der bAV-Administration und drohendem Mangel an bAV-Fachkräften erfordert eine grundlegende Strategieüberprüfung, die von der forcierten Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zur Prüfung des Sourcings reicht.
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Der Druck zur Verbesserung der bAV-Dienstleistungen nimmt zu. Die Erwartungen der Nutzer orientieren sich an den Erfahrungen im Konsumgüterbereich, der Maßstäbe für personalisierte Kommunikation und schnelle Geschäftsprozesse setzt. Dies gilt es auch in der bAV entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu erfüllen ‒ von der Bewerbungsphase eines neuen Mitarbeitenden, über die Anwartschaftsphase bis hin zur Leistungsphase. Verglichen mit den Standards im Konsumentenmarkt müssen die bAV-Services schneller, besser und digitaler werden, um die Erwartungen der Nutzer zu erfüllen.[4]
Dies ist ein komplexes Unterfangen, das Innovationen erfordert. Es reicht nicht aus, ein Frontend auszutauschen. Vielmehr müssen alle Prozesse grundlegend überdacht werden, um den Service konsequent an den Bedürfnissen der Nutzer auszurichten. Positiver Nebeneffekt ist, dass nicht benötigte Dienste eliminiert werden können und insgesamt die Effizienz steigt.
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Eng verbunden mit den beschriebenen notwendigen Veränderungen der Nutzererfahrung ist die Frage nach einer geeigneten und nachhaltigen Technologiestrategie. Die Neuausrichtung der Technologiestrategie ist umso notwendiger, da sich in den letzten Jahren folgende für die bAV relevanten Technologien verändert haben:
Vor dem Hintergrund dieser Veränderungen empfiehlt sich eine genaue Analyse der Zukunftsfähigkeit der derzeit eingesetzten Technologien. Darüber hinaus müssen die bAV-Entscheider bei der Festlegung der Softwarestrategie auch die unternehmensweite IT-Strategie berücksichtigen.
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Der demografische Wandel und der damit verbundene zu erwartende Arbeitskräftemangel sind mittlerweile in den Unternehmen angekommen. Die notwendigen Anpassungs- und Transformationsprozesse sind bereits im Gange, um sich auf den sukzessiven Rückgang des Arbeitskräfteangebots einzustellen.
Die bAV ist von diesem Strukturwandel besonders betroffen. Aufgrund der hohen Spezialisierung dauert die Einarbeitung neuer Mitarbeitenden sehr lange. Zudem ist die Attraktivität des Berufsfeldes „bAV“ für viele Bewerber nicht transparent, was den Wettbewerb um Talente in einem sich verschärfenden Arbeitsmarkt nicht einfacher macht.[5]
Auch für die bAV-Organisation gewinnt das Talentmanagement zunehmend an Bedeutung. Dies betrifft sowohl die Bindung vorhandener bAV-Experten als auch die Gewinnung und Qualifizierung neuer Talente. Zentrale Aufgabe ist es, das vorhandene Spezialwissen über die Unternehmensspezifika nachhaltig zu sichern und rechtzeitig Nachfolgeplanungsprozesse einzuleiten. Darüber hinaus muss das Talentmanagement dafür sorgen, dass die Experten, z.B. durch Weiterbildung, alle notwendigen Fähigkeiten erwerben, um auch zukünftige Herausforderungen bewältigen zu können.
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Fast zwei Drittel der bAV-Verantwortlichen sehen die Einhaltung der Regulierung und die damit verbundene steigende Komplexität und Kosten als eines ihrer Top-Themen.[6]
Fachexpertise und Spezialisierung werden mit zunehmender Regulierung in der bAV immer wichtiger. Schon heute gibt es zahlreiche „fachfremde“ Bereiche, die Einfluss auf die ordnungsgemäße Durchführung der bAV haben, z.B. Datenschutz, IT-Themen oder Produktinformationspflichten. Für die regulierten Durchführungswege gilt dies in verschärfter Form.
Aus Sicht des Risikomanagements wird es immer wichtiger, bestehende und zukünftige Regulierungen zu bewerten und den damit verbundenen Risiken zu begegnen. Dazu bedarf es geeigneter Governance-Strukturen sowie die Einbindung von Fachexperten aus anderen Unternehmensbereichen und geeigneten Beratern.
Ein Patentrezept für die perfekte bAV-Organisation gibt es nicht. Dafür sind die Ausgangssituationen und Möglichkeiten von Unternehmen zu Unternehmen zu unterschiedlich. Eine generelle Vorgehensweise, wie man sich einer Strategie nähern kann, um die genannten Herausforderungen zu bewältigen, lässt sich jedoch aufzeigen.
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Ein nachhaltiges Servicemodell muss auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtet sein. Die bAV ist kein Selbstzweck. Die Werthaltigkeit der bAV sollte den Mitarbeitenden und Leistungsempfängern transparent sein, damit sie von diesen geschätzt wird. Um diese Werthaltigkeit zu transportieren, muss die gesamte Wertschöpfungskette überprüft und angepasst werden – von der Information und Kommunikation bis zur Abwicklung. Das Ziel ist erst dann erreicht, wenn die Services auch von den Betroffenen (d.h. Mitarbeitenden bzw. Leistungsempfängern) als werthaltig wahrgenommen werden.
Um dies zu erreichen, müssen sich die Services am Konsumentenmarkt orientieren. Das Credo dabei ist, die bAV-Services „schneller, digitaler und transparenter“ auf die Bedürfnisse der User auszurichten.
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Sobald die Ziel-Services definiert sind, kann eine Überprüfung der bAV-Organisation durchgeführt werden. Der Abgleich zeigt, inwieweit die bAV-Organisation den zukünftigen Herausforderungen gewachsen ist. Dies betrifft auch Prozesse und Systeme. Diese Prüfung ist zeitnah erforderlich, da bAV-Transformationsprojekte aufgrund ihrer Komplexität in der Regel lange dauern.
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Die Neuausrichtung der bAV-Organisation erfordert eine Strategie und darauf aufbauend einen Maßnahmenplan, der alle Aspekte der bAV umfasst: die Prozesse und die Organisation, die Kommunikation mit den Begünstigten, die Technologie, das Talentmanagement sowie den Service-Umfang und die Service-Qualität. Diese Aspekte müssen auch die zugrundeliegenden Versorgungspläne berücksichtigen und das so wirtschaftlich wie möglich.
Die Neuausrichtung der bAV bietet viele Chancen:
Eine nachhaltige bAV-Strategie umfasst die Organisation, die Technologie und die Mitarbeitenden gleichermaßen – gefragt ist ein ganzheitliches Denken und Handeln.