LSG Baden-Württemberg vom 20.03.2024 - L2 BA 37/22
Verstößt eine Umwandlung gegen einen Tarifvertrag, bleibt der ursprüngliche Anspruch auf Tarifentgelt bestehen. Das reicht aus, um SV-Beitragspflicht auszulösen. Dass das umgewandelte Entgelt nicht ausgezahlt wurde, ist ohne Bedeutung, da im SV-Beitragsrecht – im Gegensatz zum Steuerrecht – nicht das Zuflussprinzip gilt. Diesen in der Praxis manchmal übersehenen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einem aktuellen Urteil vom 20. März 2024 (Aktenzeichen: L 2 BA 37/22) bestätigt.
Konkret ging es um folgenden Sachverhalt: Das LSG Baden-Württemberg hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem Mitarbeitende Teile der monatlichen Grundvergütung zugunsten eines Jobrades umwandeln konnten. Hinsichtlich Steuern und SV-Beiträgen hatte der Arbeitgeber das Jobrad als Sachbezug behandelt und im Übrigen nur das um die Umwandlung geminderte Entgelt den gesetzlichen Abzügen unterworfen. Im Unternehmen fand ein Tarifvertrag Anwendung, der die Umwandlung von Tarifentgelt zugunsten der betrieblichen Altersversorgung (bAV) erlaubte.
Eine Betriebsprüfung beim Arbeitgeber führte zu einer unangenehmen Überraschung. Die Prüfer kamen zu dem Ergebnis, dass die Umwandlung unwirksam sei. Sie beriefen sich auf den heutigen § 20 Abs. 1 BetrAVG (früher: § 17 Abs. 5 BetrAVG), wonach Tarifentgelt nur umgewandelt werden darf, soweit dies durch einen Tarifvertrag vorgesehen oder zugelassen ist. Der einschlägige Tarifvertrag habe aber nur eine Umwandlung zugunsten der bAV und nicht zugunsten eines Jobrades vorgesehen. Die Vorschrift sei unabhängig davon anwendbar, ob der Tarifvertrag für den Arbeitnehmer aufgrund Gewerkschaftszugehörigkeit gelte oder aufgrund einer vertraglichen Bezugnahme im Arbeitsvertrag.
Bei Unwirksamkeit der Umwandlung sind SV-Beiträge auf das ungekürzte Entgelt zu zahlen, das heißt ohne die Umwandlung. Da der Arbeitgeber nur das gekürzte Entgelt verbeitragt hatte, machte die Betriebsprüfung eine Nachforderung (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) im deutlich sechsstelligen Bereich geltend. Wichtig in diesem Zusammenhang: Im Gegensatz zum Steuerrecht gilt im SV-Beitragsrecht nicht das Zufluss-, sondern das Entstehungsprinzip. Das heißt, dass SV-Beiträge bereits abzuführen sind, wenn der Entgeltanspruch entstanden ist, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber das Entgelt tatsächlich an den Arbeitnehmer auszahlt oder nicht.
Die Argumentation der Betriebsprüfung wurde vom LSG umfassend widerlegt. Ein Verstoß gegen tarifliche Vorschriften scheidet für Mitarbeitende, die nicht Gewerkschaftsmitglied sind, schon mangels zwingender Wirkung des Tarifvertrages aus. Aber auch für die Gewerkschaftsmitglieder schränkt § 20 Abs. 1 BetrAVG ausschließlich die Umwandlung von Entgelt zugunsten der bAV ein. Da es vorliegend um die Umwandlung zugunsten eines Jobrades ging, ist die Vorschrift nicht einschlägig. Das LSG prüfte ergänzend, ob die Umwandlung gegen § 107 GewO (sog. Barlohngebot), gegen § 4 Abs. 3 TVG (Günstigkeitsprinzip) oder § 4 Abs. 4 TVG (kein Verzicht auf tarifliche Leistungen) verstoßen könnte, lehnt dies aber jeweils ab.
Auch wenn der konkrete Fall für den betroffenen Arbeitgeber gut ausging, lenkt er den Blick auf ein Thema, das in der betrieblichen Wirklichkeit bisweilen nicht genug beachtet wird. § 20 Abs. 1 BetrAVG ist zwar bei einer Umwandlung zugunsten eines Jobrades nicht zu beachten, sehr wohl aber bei einer Umwandlung zugunsten der bAV. Wird Tarifentgelt umgewandelt, ohne dass dies von einem Tarifvertrag zugelassen ist, so ist die Umwandlung rechtlich unwirksam. Im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird dies häufig nicht zu Problemen führen. Schließlich hatte sich der Arbeitnehmer ja bewusst für die Umwandlung entschieden – und wo kein Kläger, da kein Richter. Die Sozialversicherungsträger haben aber eine andere Perspektive und der Fall des LSG Baden-Württemberg zeigt, dass sie durchaus im Blick haben können, ob eine Umwandlung tarifvertraglich zugelassen ist.
Erschwerend kommt hinzu, dass es nicht ausreicht, wenn es einen Tarifvertrag gibt, der Entgeltumwandlung generell zulässt. Vielmehr müssen auch die konkreten Vorgaben des Tarifvertrages eingehalten werden. In der Praxis gibt es viele Tarifverträge, die zum Beispiel vorsehen, dass nur bestimmte Entgeltbestandteile umgewandelt werden dürfen, oder die Vorgaben zu Durchführungswegen oder zum Leistungsspektrum machen. Auch formale Anforderungen etwa zur Form der Entgeltumwandlungsvereinbarung oder zu Antragsfristen können zu beachten sein. In der Praxis wird hier bisweilen sehr pragmatisch vorgegangen.
Für den Arbeitgeber ist das Haftungspotenzial immens. Mit einer Nachforderung durch die SV-Träger können rückständige Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile des SV-Beitrags für die letzten vier Kalenderjahre fällig werden (§ 25 Abs. 1 SGB IV). Die Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich zumindest den nachgeforderten Arbeitnehmeranteil von diesem erstatten zu lassen, sind demgegenüber sehr begrenzt (vgl. § 28g Satz 3 SGB IV).
Tarifgebundene Arbeitgeber sollten prüfen, ob sie in der betrieblichen Praxis einschlägige tarifliche Vorgaben einhalten, wenn Tarifentgelt zugunsten der bAV umgewandelt wird. Dies gilt auch für vermeintlich weniger wichtige Formalien, etwa zu tariflichen Formerfordernissen oder Fristen. Das Urteil des LSG Baden-Württemberg zeigt, dass ein Betriebsprüfer der Sozialversicherung Ungenauigkeiten in der Umsetzung aufgreifen und zum Anlass nehmen kann, Sozialversicherungsbeiträge nachzufordern. Dies gilt sogar dann, wenn die teilnehmenden Arbeitnehmer mit der von ihnen finanzierten Versorgung zufrieden sind und ihrerseits gar nicht auf die Idee kämen, die Umwandlung in Frage zu stellen.