Die Bundesregierung hat den Entwurf des geänderten Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG 2) verabschiedet. Kann damit die betriebliche Altersversorgung (bAV) deutlich weiter verbreitet werden? Unterhalten haben sich darüber Thorsten Linnmann, Uniper, Hansjörg Müllerleile, Metallrente, Sabine Payne, Deutsche Bank, Beate Petry, BASF, und Carsten Velten, Deutsche Telekom. Dr. Michael Karst, WTW, hat die Runde moderiert.
Michael Karst: Mit dem BRSG 1 wurde das Sozialpartnermodell, kurz SPM, eingeführt, das BRSG 2 soll das SPM jetzt stärken. Dessen bisherige schwache Wirkung wirft jedoch die Frage auf: Eignet sich das SPM überhaupt, um die bAV weiter zu verbreiten? Frau Payne, die Deutsche Bank betreibt bereits ein SPM. Wie sehen Sie die Lage?
Sabine Payne: Bei uns im Haus konnte mit dem SPM eine Gruppe von Mitarbeitenden aus dem ehemaligen Postbank-Konzern, die bislang keine bAV hatten, versorgt werden; das war schon ein richtiger Durchbruch. Es war auch einfacher, ein SPM einzuführen als einen „selbstgestrickten“ Plan: Uns lag das Muster einer Betriebsvereinbarung vor, die Höhe der Beiträge war festgelegt, es musste nichts mehr verhandelt werden, die Administration ist einfach und wir arbeiten in der Umsetzung mit einem jahrzehntelangen Partner in der bAV zusammen.
Michael Karst: Das hört sich doch gut an. Herr Linnmann, Uniper gilt als Vorreiter des SPM. Hat sich auch Ihr Einsatz gelohnt?
Thorsten Linnmann: Durchaus. Unsere Mitarbeitenden schätzen das SPM und dessen Möglichkeiten sehr, aus unserer Sicht ist es ein gutes Instrument zur Verbreitung der bAV. Und es umfasst ebenfalls viele Dinge, die Arbeitgebern schon lange wichtig waren, zum Beispiel, dass es keine Bilanzberührung gibt.
Michael Karst: Also noch ein Pro für das SPM aus der Praxis. Frau Petry, wo steht hier die BASF?
Beate Petry: Wir finden es gut, dass die Chemieindustrie ein SPM eingeführt hat; wir hätten über dieses SPM als BASF sogar die Möglichkeit, es über unsere eigene Pensionskasse abzubilden. Wir warten jedoch erst einmal ab, bis das BRSG 2 mit weiteren Klarstellungen in Kraft tritt. Und dann prüfen wir das Ganze, zusammen mit unseren Arbeitnehmervertretern, die noch die bAV-Welt der chemischen Industrie mit Höchstgarantien kennen und schätzen.
Michael Karst: Auf diese Diskussion dürfen wir gespannt warten. Apropos Arbeitnehmervertreter: Herr Velten, die Deutsche Telekom hat eine deutlich tarifvertraglich geprägte bAV-Landschaft. Ist das SPM auch für Sie ein Thema?
Carsten Velten: Wir haben ja schon lange eine bAV, die über einen Haustarifvertrag mit Garantien geregelt ist. Da will die Gewerkschaft nicht so richtig ran. Im Moment denken wir also nicht in Richtung SPM. Allerdings halte ich die reine Beitragszusage für eine grundsätzlich gute Lösung. Aber brauchen wir dafür notwendigerweise den Sozialpartner? Ich würde mir wünschen, es ginge auch ohne. Die aktuellen Entwicklungen in der privaten Altersversorgung zeigen ja gerade, dass man sich offensichtlich auch in Regierungskreisen sehr gut vorstellen kann, auf Garantien in steuerlich geförderten Systemen zu verzichten, und das sowohl ohne Arbeitgeber und erst recht ohne die Gewerkschaften.
Michael Karst: Hier geht es in der Tat um eine nicht gerade leichte Abwägung. Doch schauen wir auf ein großes branchenübergreifendes Versorgungswerk, die Metallrente. Herr Müllerleile, bringt das SPM aus Ihrer Sicht einen weiteren Push?
Hansjörg Müllerleile: Das SPM hat durchaus alle Merkmale, die für eine Verbreitung nötig sind – vor allem die reine Beitragszusage und die Einbindung der Tarifvertragsparteien; man braucht in der Breite einfach jemanden, der über signifikante Mittel verfügen kann, gerade mit Blick auf diejenigen, die wenig verdienen. Und der seit längerem stabile Stand des Versorgungsgrads von rund 53 Prozent zeigt ja auch, dass wir für eine markante Verbreitung neue Methoden brauchen.
Michael Karst: Die Erleichterung durch das BRSG 2 bezüglich der Vereinbarungsmöglichkeiten von Tarifverträgen ist aus Ihrer Sicht also ein konstruktiver Beitrag?
Hansjörg Müllerleile: Es ist gut, dass der entsprechende Wunsch aus der Praxis schon mal gehört wurde. Viele Tarifbereiche sind einfach zu klein, um selbst handeln zu können, deshalb ist der Anschluss an den Wirkbereich großer Gewerkschaften folgerichtig.
Beate Petry: Dem kann ich zu 100 Prozent zustimmen. Denn diese neu geschaffene Möglichkeit baut zum einen Unsicherheiten ab, und zum anderen hat man mit Blick auf die reine Beitragszusage als Unternehmen keine Haftungsfragen mehr.
Michael Karst: Herr Velten, wäre es nicht auch für die Deutsche Telekom eine interessante Idee, sich woanders anzuschließen?
Carsten Velten: Die Telekom hat aufgrund ihrer arbeitgeberfinanzierten bAV einen nahezu 100 prozentigen Verbreitungsgrad. Da geht es offensichtlich nicht um eine weitere Verbreitung der bAV, sondern um deren Weiterentwicklung und Verbesserung. Der Reiz der reinen Beitragszusage ist zwar durchaus gegeben, aber das magentafarbene „T“ auf der bAV ist sowohl uns als auch unseren Mitarbeitenden wichtig; sich an etwas anzuschließen, das nichts mit der Telekom zu tun hat, ist deshalb vorerst weit weg.
Michael Karst: Laut BRSG 2 soll nach drei Jahren geprüft werden, ob die bAV „erkennbar“ stärker verbreitet werden konnte im Vergleich zum Verbreitungsgrad von 53,3 Prozent im Jahr 2021. Anderenfalls droht ein Obligatorium mit arbeitgeber- und arbeitnehmerfinanzierten Beiträgen. Eine gute Idee, Herr Linnmann?
Thorsten Linnmann: Es braucht Zeit, damit neue Ansätze in der bAV wirken können. Drei Jahre sind dafür viel zu kurz. Zudem: Was bedeutet „erkennbar“? Falls 80 Prozent der Maßstab sein sollten, können wir die Evaluierung bereits heute vornehmen, mit dem Ergebnis, dass sich solch ein Wert in diesem Zeitraum nicht erreichen lässt.
Michael Karst: Frau Payne, könnte das gesetzte Procedere nicht auch dazu führen, dass der eine oder andere sagt: Dann warten wir das Ganze doch einfach ab und machen erst einmal nichts?
Sabine Payne: Als wir uns für das SPM entschieden haben, stand das Thema Obligatorium noch nicht im Raum. Wichtig ist am Ende doch, es den Arbeitgebern in der praktischen Umsetzung möglichst einfach zu machen, eine bAV anzubieten.
Michael Karst: Das BRSG 2 bietet eine weitere spannende Regelung: das Opting-Out, allerdings mit einer Begrenzung auf Unternehmen in tariflosen Bereichen und bei einem Arbeitgeberzuschuss von mindestens 20 Prozent. Herr Velten, können wir damit bei allen Restriktionen vielleicht dem Obligatorium entgehen?
Carsten Velten: Nach meiner Einschätzung dürfen wir bei diesen Restriktionen von einem Opting-Out nichts erwarten; bei uns steht es jedenfalls aktuell nicht auf der Agenda.
Michael Karst: Herr Müllerleile, führen hier vielleicht die Ambitionen der EU-Kommission weiter, die ein Auto-Enrolment in den EU-Mitgliedesstaaten propagiert?
Hansjörg Müllerleile: Es gab ja schon in der Vergangenheit kein Hemmnis für die Tarifparteien, ein Opting-Out zu vereinbaren. Hier hat sich jedoch nichts getan. Und ich sehe offengestanden auch nicht, dass die Pläne der EU-Kommission zu einem Auto-Enrolment wirkungsvolle Impulse geben könnten.
Michael Karst: Das gesetzlich geregelte Opting-Out ist also in der Praxis bislang eher keine wirkungsvolles Verbreitungsinstrument. Doch das Thema Verbreitung der bAV ist nach wie vor in. Und unsere Runde hat gezeigt, dass es dafür einen deutlichen Diskussionsbedarf rund um das BRSG 2 und das SPM gibt. Gut ist jedoch, dass Unternehmen bereits jetzt einiges dafür tun können, um die bAV für ihre Mitarbeitenden noch attraktiver zu machen – eine weitere Verbreitung kommt dann doch schon fast von allein. Herzlichen Dank Ihnen allen für die klaren Worte.
Vielen Dank für die spannende Diskussion!