„VUCA“ ist für uns alle zur neuen Normalität geworden. Das Gute ist, dass wir – Unternehmen, Makler und Versicherer – gezeigt haben, dass wir anpassungsfähig sind. Und nur als Dreier-Team können wir auch in Zukunft die Herausforderungen für das Risiko- und Versicherungsmanagement meistern. Was das bedeutet, will ich aus Sicht des Industrieversicherers skizzieren.
Von Kunden werden wir etwa immer wieder gefragt: Ich habe aktuell nur noch eine Schadenquote von zehn Prozent, müsste da nicht auch meine Prämie sinken? Doch so einfach ist es leider nicht, weder für die Unternehmen noch für uns als Versicherer, denn dem entgegen stehen einfach signifikante Entwicklungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.
So haben in Deutschland zum Beispiel die Großschäden drastisch zugenommen: Sechs der zehn größten Einzelschäden seit 1962 traten in den letzten zehn Jahren auf. Auch mit unseren Aufwendungen für Betriebsunterbrechungsschäden ging es in den letzten Jahren steil nach oben. Wir sehen hier jeweils einen klaren Trend mit einer aufsteigenden Linie.
Eine plausible Erklärung dafür ist, dass viele Unternehmen in den letzten Jahren ihre Sachwerte konzentriert und ihre Wertschöpfung verdichtet haben. Wo es früher an zwei Standorten jeweils zwei vergleichbare Anlagen gab, steht heute nur noch eine hochleistungsfähige Anlage an einem Standort. Dank des technischen Fortschritts wird mit immer weniger Maschinen immer mehr und schneller produziert.
Insgesamt wurden Redundanzen massiv reduziert, die Unternehmen können deshalb bei einem Schaden jedoch nicht mehr ausweichen und die ausfallende Produktivität kompensieren. Das hat auch dazu geführt, dass die Schäden sehr hoch sind, wenn es doch mal zu einem Schadenereignis kommt. Wir haben Unternehmen als Kunden, die 20, 30 Jahre lang schadenfrei waren und durch einen einzigen Schaden Werte in Höhe von 100 oder 200 Jahresprämien verloren haben.
Noch riskanter wird die Lage durch global vernetzte Lieferketten und die internationale Spezialisierung: Viele Vorprodukte sind heute so speziell, dass sie weltweit nur noch an einem einzigen Standort produziert werden; fällt hier die Produktion aus oder reißt die Lieferkette an anderer Stelle, stehen Anlagen auf der ganzen Welt still.
Eine besondere Gefahr sind dabei Naturkatastrophen. Hochwasser, Starkstürme und andere Ereignisse haben an Frequenz und Intensität zugenommen. Für Unternehmen wird dies nicht nur dann kritisch, wenn sie selbst direkt betroffen sind, sondern auch, wenn ein Zulieferer lahmgelegt wird, der vielleicht tausende Kilometer entfernt von ihnen ist.
Das schlägt natürlich auch bei uns Versicherern zu Buche. So langsam stoßen wir an die Grenzen der Kalkulierbarkeit. Dies gilt vor allem auch für weitere Risiken wie Pandemien, Cyber-Attacken oder Kriege; bei allen geht es um regional großflächige bis weltweite Risikoszenarien, deren finanzielle Auswirkungen kaum allein von den Versicherern getragen werden können.
Auch deshalb spielt für uns eine gezielte Risikoselektion eine immer wichtigere Rolle. Selektion hört sich erst einmal hart an. Für Unternehmen bedeuten unsere Anforderungen jedoch auch eine Chance: Wenn sie ihre Risiken analysieren, bewerten und entsprechend handeln, wenden sie mögliche Schäden von sich ab – und wir kommen mit ihnen gern und auch konstruktiv ins Geschäft.
Dabei haben sie viele Möglichkeiten: Mit Blick darauf, welche Regionen, Länder oder Lagen durch Naturgefahren besonders gefährdet sind, können sie strategische Standortentscheidungen treffen, Lieferanten auswählen und ihre Logistik- und Wertschöpfungsnetze organisieren. Auch auf geopolitische Hotspots können sie entsprechend reagieren. Und vor Cyber-Risiken können sie sich ebenfalls schützen – technisch, aber auch indem sie ihre Mitarbeiter dafür sensibilisieren.
Unternehmerisches Handeln bleibt riskant, das liegt in der Natur der Sache. Und wir Versicherer sehen es nach wie vor als unsere Aufgabe an, Unternehmen finanziell abzusichern und Volatilität aus ihrer Bilanz zu nehmen. Aber alles muss auch für uns kalkulierbar bleiben; unsere Margen sind knapp.
Übrigens helfen uns auf dem Weg zu einer angemessenen Rentabilität auch die gerade etwas anziehenden Zinsen nicht weiter: Wir brauchen etwa fünf bis zehn Jahre, bis wir die gestiegenen Zinsen durch unser Kapitalanlage-Portfolio geshiftet haben. Sinkende Prämien sind mit Blick auf die gesamte Sachlage also vorerst kein Thema.
Dennoch können Unternehmen etwas tun, um von wirtschaftlichen Versicherungslösungen zu profitieren: Sie sollten ihre Versicherungseinkäufer als Risikomanager betrachten und ihnen die Möglichkeit bieten, im Zusammenspiel mit der Geschäftsleitung und Finance relevante Risiken zu erkennen und in ihrer finanziellen Bedeutung zu verstehen, am Risikoschutz mitzuwirken, um dann im Schulterschluss mit Brokern und Versicherern wirtschaftlich sinnvolle Versicherungslösungen unter Dach und Fach zu bringen.
Wir Versicherer wollen Unternehmen ihren Weg in die Zukunft weiter absichern. Dabei sind wir jedoch darauf angewiesen, dass die Unternehmen einen analytisch klaren Blick auf ihre Risiken gewinnen. Davon profitieren wir dann alle.