Risiken werden meist mit Hilfe statistischer Analysen modelliert. Mit Blick auf den Klimawandel ist dies schwierig, weil uns die Daten für die entsprechend langen Zeiträume fehlen. Dies spielt jedoch keine Rolle: Unser Wissen um physikalische Zusammenhänge reicht, um den Klimawandel zu verstehen. Wenn wir prognostizieren wollen, ob ein Apfel zu Boden fällt, brauchen wir auch keine Statistik und keine Empirie, unsere Kenntnis der Gravitationsgesetze reicht dafür aus.
In Physics we trust. Dass dieses Vertrauen auch in Sachen Klimawandel und dessen Folgen begründet ist, hat der amerikanische Glaziologe John Mercer bereits 1978 bewiesen. Er sagte: Wenn wir mit dem CO2-Ausstoß so weitermachen, wird sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre in 50 Jahren verdoppelt haben. Dadurch erwärmt sich deren Temperatur und die des Ozeans bis in die Antarktis, dann werden die Eis-Shelfe zerbersten. Insgesamt wird die Westantarktis instabil, also auch bei einer Rückkehr zu einem vorindustriellen CO2-Gehalt, zunehmend eisfrei werden.
Die Ereignisse der letzten Jahre und Modelle belegen: John Mercer hatte die Lage korrekt analysiert – und das ohne Computer, Satelliten und Statistik, alles nur mit reiner Physik.
Die physikalischen Grundwahrheiten dahinter sind so einfach wie felsenfest. So sagt uns die Quantenmechanik: CO2-Moleküle lassen das sichtbare Sonnenlicht in unsere Atmosphäre durch. Sie absorbieren jedoch das Infrarotlicht, das von der Erde abgestrahlt wird; Energie wird also in der Atmosphäre festgehalten und sie erwärmt sich. Eine Verdopplung des CO2-Gehalts führt dabei zu einem Temperaturanstieg von 1,1 Grad Celsius.
Und aus der Thermodynamik wissen wir: Je wärmer die Atmosphäre ist, desto mehr Wasserdampf kann sie halten. Wasserdampf ist allerdings wie CO2 ein Treibhausgas. Wir haben hier also einen Rückkopplungseffekt, ein sich selbst verstärkendes System. Insgesamt ergibt sich ein Temperaturanstieg von 3 Grad Celsius bei einer Verdoppelung des CO2-Gehalts. Dazu kommt ein weiterer entscheidender Fakt: CO2 ist ein wenig wie Mikroplastik – wenn wir zwei CO2-Moleküle in die Atmosphäre einbringen, wird eins im Ozean sofort gelöst und schädigt dessen Biosystem und das andere bleibt für Jahrhunderte in der Atmosphäre und trägt so zur Stabilisierung der erreichten Temperatur bei. Und egal, bei welcher Temperatur wir das System stabilisieren wollen: Es gelingt uns nur bei netto-null Emissionen.
Der Zwang zu netto-null Emissionen ist die entscheidende Erkenntnis. Denn sie zwingt uns dazu, jetzt konsequent zu handeln. Dabei geht es um nicht weniger als um einen kompletten Strukturwandel unseres Wirtschaftslebens. Als wir Klimaforscher Wirtschaftsvertreter noch dazu aufriefen, die Emissionen zu reduzieren, haben wir gegen die Wand geredet. Sie meinten: Das schadet doch unserem Wachstum.
Interessant ist, dass wir sie mit der Forderung nach einem kompletten Strukturwandel auf unserer Seite haben. Denn ein solcher Strukturwandel bedeutet nicht, wir müssen hier und da an einer Schraube drehen, sondern unser System völlig neu entwerfen und gestalten. Und das bedeutet einen immensen Schub für Innovationen und neue Kooperationen und deshalb auch für das Wachstum.
Dazu nur ein Beispiel: Wenn wir alles einfach weiterlaufen lassen, geht die Wirtschaftsleistung Chinas in den nächsten 20 Jahren um 80 Prozent zurück. In anderen Wirtschaftsräumen würde es auch nicht viel besser aussehen. Dann entscheiden wir uns doch lieber für die Chancen! Um sie zu nutzen, haben wir noch etwa 20, 30 Jahre lang Zeit. Und wir müssen sie weltweit gemeinsam nutzen und die gesamte Energieversorgung auf der ganzen Erde umstellen.
Deshalb geht es auch nicht darum, jeden einzelnen davon zu überzeugen, weniger Energie zu verbrauchen oder in dieser Stadt und jener Region etwas grüner zu werden. Sondern wir müssen uns auf breiter Front gesellschaftlich darauf einigen, etwas zu unternehmen und das dann auch politisch durchsetzen.
Dazu gehört, dass wir wirkungsvolle supraregionale Systeme aufsetzen – etwa einen Verbund aus leistungsstarken Windkraftanlagen entlang der Küsten Skandinaviens, Frankreichs, Spaniens und weiterer Mittelmeer-Anreiner, dazwischen ein intelligentes Verteiler- und Speichernetz im Zusammenspiel mit Solarenergie. Und es gibt viele weitere praktikable Ideen, die sich auch für die beteiligten Unternehmen auszahlen. Also, hören wir auf die Physik und stellen wir die Weichen in die richtige Richtung – und zwar jetzt.