bAV-Konferenz 2021 - Keynote von
Prof. Dr. Börsch-Supan
Herr Professor Börsch-Supan, 2021 jährt sich der Tod des Dichters Dante Alighieri zum 700. Mal. In seiner Göttlichen Komödie geht die Reise auch in die Hölle, vor deren Tor steht: Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren. Gilt dies auch für alle künftigen Rentner?
Axel Börsch-Supan: Nein, unser Rentensystem ist grundsätzlich gut. Damit dies so bleibt, müssen wir jedoch verschiedene Risiken in den Griff bekommen. Aus makroökonomischer Perspektive geht es dabei etwa um die anhaltende Phase niedriger Zinsen und ein sich anbahnendes Inflationsrisiko; beide setzen die kapitalgedeckte Rente unter Druck. Das größte gesellschaftliche Risiko ist der demographische Wandel, der das Umlageverfahren bedroht.
Ein weiteres Risiko wird dabei meist unterschätzt: das eines geringen Produktivitätszuwachses – der gefährdet durch sinkende Renditen die kapitalgedeckte Rente und durch stagnierende oder sinkende Löhne das Umlageverfahren.
Einige sehen die Lösung darin, mehr Einwanderer nach Deutschland zu holen, Frauen aus der Teilzeit in die Vollbeschäftigung zu bringen und für eine Gesellschaft zu sorgen, in der junge Paare wieder mehr Kinder bekommen möchten.
Axel Börsch-Supan: Das alles kann uns nicht helfen. Selbst bei einer Million Einwanderer pro Jahr würde unsere Gesellschaft weiter altern. Wenn mehr Frauen von morgens bis abends arbeiten, werden vermutlich deren Männer mehr in Teilzeit gehen. Und Kinder, die jetzt geboren werden, zahlen erst in etwa 20 Jahren in die Rentenkasse ein.
Verspricht die aktuelle Politik denn Besserung?
Axel Börsch-Supan: Nein, da möchte man dann doch wieder an Dante denken. Die Rentenpolitik steuert allein schon durch den demographischen Wandel auf einen Finanzierungsschock in den nächsten Jahren zu. Und die Politik der GroKo hat die Lage deutlich verschärft: Mütter- und Grundrente bedeuten weitere finanzielle Belastungen und die Rente mit 63 nimmt viele Menschen aus dem Erwerbsleben.
Vor allem der ausgehebelte Nachhaltigkeitsfaktor führt direkt in die Sackgasse: Wenn die Haltelinien von 48 Prozent für das Rentenniveau und 20 Prozent für den Beitragssatz fortgeschrieben werden, sind in naher Zukunft massiv steigende weitere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt nötig, zulasten dringend erforderlicher Zukunftsinvestitionen.
Was also tun?
Axel Börsch-Supan: Bereits jetzt sollten wir die zusätzliche Belastung, die sich durch den Renteneintritt der Babyboomer ergibt, zumindest einigermaßen gerecht verteilen. Die einfachste Lösung wäre, dem Nachhaltigkeitsfaktor wieder zu seinem Recht verhelfen, auch wenn das aus Sicht der Politiker nicht opportun wäre. Heute können wir uns auch schon darauf vorbereiten, ab 2031 das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Ich plädiere dabei nicht für ein festgeschriebenes Renteneintrittsalter, sondern für dessen dynamische Anpassung und mehr Flexibilität.
Zudem führt kein Weg daran vorbei, die Kapitaldeckung zu stärken. Das geht jedoch nicht von heute auf morgen, weil die Jungen nicht gleichzeitig via Umlageverfahren für die Rentner zahlen und gleichzeitig in eine kapitalgedeckte Rente investieren können. Hier bietet es sich an, ab zirka 2040 langsam in Richtung Kapitaldeckung umzuschwenken – und das sowohl in der privaten als auch in der betrieblichen Altersversorgung. Hier ist viel Luft nach oben: Weltweit gehört Deutschland zu den Schlusslichtern, was die Vermögen in kapitalgedeckten Rentenplänen angeht.
Apropos bAV, die großen Parteien machen sich dafür ja eigentlich stark.
Axel Börsch-Supan: Hier klafft noch eine große Lücke zwischen großen Unternehmen mit einer hohen Abdeckung und kleineren Betrieben mit einer recht niedrigen Abdeckung. Diese Lücke zu füllen, ist eine unserer größten Aufgaben. Das gelingt etwa mit standardisierten Produkten. Solche Produkte haben den Vorteil, dass man sie einfach aus dem Regal holen kann und dass sie relativ günstig angeboten werden, weil es dafür einen breiten Markt gibt.
Zu ihrem Glück zwingen kann man die Mitarbeiter jedoch nicht.
Axel Börsch-Supan: Hier empfiehlt sich die Kombination von Freiwilligkeit durch attraktive Anreize und einem gewissen Nachdruck. Ich denke hier an Opting-Out-Modelle, an denen die Mitarbeiter automatisch teilnehmen, wenn sie dem nicht widersprechen. Die Mitarbeiter müssen dann aber auch erkennen können, wie sie davon profitieren.
Worauf kommt es also unter dem Strich an?
Axel Börsch-Supan: Im Sinne eines wirkungsvollen Social Risk Managements sollten wir vor allem das Rentenalter gleitend anpassen, die Rentenformel generationengerecht gestalten, bereits jetzt über eine kapitalgedeckte private und betriebliche Altersversorgung nachdenken und mit Standardprodukten für eine weite Verbreitung der bAV sorgen. Die Politik muss dafür jetzt die Weichen stellen.
Entscheidend sind jedoch auch: ein von Staat und Privatwirtschaft gemeinsam organisierter Produktivitätsschub, der für steigende Renditen und gut bezahlte Arbeitsplätze sorgt, und eine Bildungsoffensive, die möglichst viele Menschen in die Lage versetzt, anspruchsvolle Jobs mit einer hohen Wertschöpfung zu übernehmen.
Wenn wir das gemeinsam schaffen, ist die Rente auch in Zukunft sicher. Und wie wir wissen, führt der Weg in Dantes Göttlicher Komödie über einen Läuterungsberg ins Paradies. Paradiesische Zustände können wir in der Rente bei ihren vielfältigen Zwängen natürlich nicht erreichen, aber eine gewisse Läuterung würde ihr sicher guttun.
Vielen Dank!