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Artikel | Risk Perspectives

Marktentwicklung in der Sachversicherung für die Chemieindustrie

MarktSpot 2023

24. August 2023

Die Konditionen der Rückversicherer beeinflussen zunehmend das Erstversicherungsgeschäft, während Großschäden die Kosten in die Höhe treiben. Doch zumindest die Kapazitäten bleiben global auf einem konstanten Niveau.
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Die letztjährige Verlängerungsphase war für Chemieunternehmen sowie für die Erstversicherer eine der herausforderndsten. Sie war stark geprägt von den Verhandlungen zum Rückversicherungs-Treaty, die sich allerdings sehr in die Länge zogen und somit auch die Verlängerungen im Erstversicherungsgeschäft stark verzögerten. In der diesjährigen Verlängerungsphase ist keine Entspannung in Sicht, was für diesen Markt ungewöhnlich ist. Denn die Erfahrung zeigt, dass nach einer Periode von Prämiensteigerungen neue Kapazitäten auf den Markt strömen und die nächste Phase des Zeichnungszyklus beginnt. Bisher ist aber nichts dergleichen geschehen. Für die Unternehmen ist das aber nicht unbedingt eine schlechte Nachricht – zumindest nicht auf lange Sicht.

Rückversicherer beeinflussen Endkundengeschäft

Selbst zum Ende des 1. Quartals 2023 waren die Auswirkungen der letzten Verlängerungsphase für Rückversicherungen nicht eindeutig. Aussagen zu den Rückversicherungskosten fielen je nach Quelle unterschiedlich aus und lagen zwischen 10 und 70 Prozent. Doch nicht nur der Umfang, in dem die Prämien gestiegen sind, sorgte für Beunruhigung, sondern auch die erhöhten Selbstbehalte. Diese haben sich teilweise verdoppelt. Zudem hat die Verknappung der Rückversicherungskapazität für Naturgefahren die Prämien weiter in die Höhe getrieben.

Die Rückversicherungskosten machen in der Regel zwischen 30 und 50 Prozent der Gesamtkosten der Versicherer aus, wobei dieser Anteil angesichts der Prämiensteigerungen im Rückversicherungsmarkt noch höher ausfallen könnte. Folglich haben die Versicherer keine andere Wahl, als die gestiegenen Kosten an die Endkunden weiterzugeben.

Der Erstversicherungsmarkt wird zunehmend gezwungen, die Bedingungen seiner Rückversicherungsverträge zu übernehmen und die gleichen Ausschlüsse für sein Erstversicherungsgeschäft zu fordern. So haben auch vor einigen Jahren bereits die Cyber-Ausschlussklauseln (LMA 5400 und NMA 2195) in den deutschen Erstversicherungspolicen ihren Platz gefunden. Rückversicherer schließen zudem immer mehr Risiken aus. Eine Deckung für beispielsweise Streik, innere Unruhen oder Aussperrung zu erhalten, gestaltet sich schwierig.

Entscheidend für den weiteren Jahresverlauf wird auch sein, wie sich die Kapazitäten im lokalen Markt entwickeln und in welcher Höhe Kapazitäten im internationalen Markt zu organisieren sind.

Großschäden gefährden Rentabilität 

Nicht nur die verhärtenden Rückversicherungsbedingungen bereiten Sorgen, sondern auch die jüngste Schadenbilanz, die sich deutlich verschlechtert hat.

Mrd. USD hat die Gesamtsumme der versicherten und unversicherten Bruttoschäden in 2020 betragen.


Die Gesamtsumme der versicherten und unversicherten Bruttoschäden belief sich 2020 auf fast 7 Mrd. US-Dollar – ein Rekordwert in diesem Jahrhundert, mit Ausnahme des Jahres 2005, in dem eine Rekordsaison von Hurrikans (Katrina, Rita und Wilma) zu verzeichnen war. Dies bedeutet jedoch nicht, dass 100 Prozent dieser Schäden vom Versicherungsmarkt bezahlt wurden; diese Schadensummen spiegeln die Bruttoschäden (versichert und unversichert) wider, die unserer Datenbank von verschiedenen Schadenversicherern übermittelt wurden. Ein Teil dieser Schäden wird einbehalten, ein anderer Teil wird an Everen (Versicherungsverein auf Gegenzeitig für Unternehmen aus der chemischen Industrie) gezahlt, und wieder andere werden nach Abschluss der Schadenregulierung möglicherweise zu einem geringeren Betrag reguliert. Die Versicherer werden mit ziemlicher Sicherheit deutlich mehr Kosten für Schäden auszahlen, als sie an Prämien einnehmen werden. Denn: Die jüngste globale Schätzung von WTW deutet auf einen leichten Rückgang des gesamten Prämientopfes auf 3,4 Mrd. US-Dollar hin.

Folgende drei Trends sind zu erkennen:

  1. Der Anteil der Ertragsausfallschäden an der Gesamtschadensumme nimmt weiter zu. 2021 lag der Anteil der Schäden für Betriebsunterbrechungen bei 61,58 Prozent, 2022 bei 70,94 Prozent. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Preise für fossile Brennstoffe seit dem Beginn des Ukraine-Konflikts angestiegen sind.
  2. Der Anteil des technischen Defekts am Gesamtschaden ist deutlich gestiegen, und zwar von nur 4,96 Prozent im Jahr 2021 auf 20,50 Prozent im Jahr 2022. Die gestiegene Auslastung der Raffinerien und Anlagen könnte auf die Erholung der Weltwirtschaft nach der COVID-19-Pandemie zurückzuführen sein. Das Hochfahren der Produktion aus einer (nahezu) ruhenden Nutzung könnte für mehr Schäden gesorgt haben.
  3. Der Anteil der nordamerikanischen Region an den Gesamtverlusten nimmt kontinuierlich zu: von 52,68 Prozent im Jahr 2021 auf 59,19 Prozent im Jahr 2022. Versicherer werden für Risiken aus dieser Region folglich teurere Prämien verlangen.

Sorgenfaktor Inflation 

Durch den zunehmenden Inflationsdruck fordern die Versicherer genaue Bewertungen und aktualisierte Versicherungswerte an. Unternehmen sollten dem nachkommen, um eine mögliche Unterversicherung im Schadenfall oder plötzliche Prämienanpassungen zu vermeiden. Denn dies ist nicht auszuschließen, sollten Versicherer der Meinung sein, dass die Versicherungswerte nicht aktualisiert wurden.  

Kapazitäten bleiben stabil

Trotz dieser herausfordernden Marktdynamik gibt es auch positive Entwicklungen: Das Kapazitätsniveau im globalen Downstream-Bereich ist in den letzten fünf Jahren bemerkenswert konstant geblieben.

Noch vor zehn Jahren betrug die Gesamtkapazität nur etwas mehr als 4 Mrd. US-Dollar. Nur acht Jahre später waren weitere 2,8 Mrd. US-Dollar hinzugekommen. Seitdem ist das Kapazitätsniveau konstant geblieben. Für 2023 ist ein theoretisches Niveau von 6,2 Mrd. US-Dollar für das internationale Geschäft und 4 Mrd. US-Dollar für nordamerikanische Risiken zu erwarten.

Erneut günstige Bedingungen für Öl- und Gassektor möglich

Mittlerweile haben sich auch die Öl- und Gaspreise nicht nur stabilisiert, sondern liegen deutlich unter dem außerordentlichen Höchstniveau der letzten Monate. Wenn sich die Preise auf diesem niedrigen Level stabilisieren, sollten sich auch die Auslastungsraten der Raffinerien und anderer Anlagen allmählich anpassen. Das würde die Schadenhäufigkeit und -schwere stabilisieren und Versicherer würden im Gegenzug wieder günstige Bedingungen anbieten.

Erhöhtes Everen-Limit löst Wettbewerbsdruck aus

Die Everen (ehemals OIL Insurance Limited) hat ihre Sachversicherungskapazitäten von 400 Mio. US-Dollar im Jahr 2022 auf 450 US-Dollar im Jahr 2023 erhöht. Allerdings scheinen nicht alle Mitglieder von der erhöhten Obergrenze Gebrauch zu machen, da einige weiterhin Limits unterhalb von 450 Mio. US-Dollar an Everen melden. Die kommerziellen Versicherer könnten daher in ein Dilemma geraten, sollten die Everen-Mitglieder auf die schwierigeren Marktbedingungen reagieren und sich dafür entscheiden, einen größeren Teil ihres Risikos beim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit zu belassen. Zumindest stellt es eine Alternative dar, die durchaus eine größere Hebelwirkung im Versicherungsmarkt sichern kann.

Druck zur Erfüllung der Einnahmeziele

Der Druck auf die Versicherer, ihre Einnahmeziele zu erfüllen, könnte ebenso zu einer Entspannung auf dem Markt führen. Sollte sich die Schadensituation besser entwickeln als in den letzten Jahren, könnten die Versicherer ihre Zeichnungspolitik etwas aufweichen, um die benötigen Prämieneinnahmen und damit verbundene Ziele erreichen zu können.

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