MarktSpot 2023
Eine Versicherung gegen politische Risiken? Was früher von Unternehmen als „nette Beilage“ und von Versicherern als unproblematisch betrachtet wurde, hat sich in den letzten Jahren gravierend verändert. Kriegshandlungen und Lieferkettenunterbrechungen sind nur zwei Beispiele, die Unternehmen aller Art teilweise erheblichen Schaden zugefügt haben. Der Bedarf an speziellem politischem Versicherungsschutz ist stark gestiegen, und die Prämien der Versicherer werden teurer bei teilweise sinkender Kapazität. Was können Unternehmen tun, um sich sowohl präventiv auf eine Katastrophe vorzubereiten als auch um adäquaten Versicherungsschutz im Hinblick auf Prämie und Konditionen zu erhalten?
9 von 10 Unternehmen erlitten laut dem aktuellem Political Risk Survey von WTW im vergangenen Jahr einen Schaden durch politische Unruhen oder politisch bedingte Handelseinschränkungen. Vor drei Jahren waren es lediglich 35 Prozent. Ursache für diesen drastischen Anstieg sind die in den letzten Jahren vermehrt auftretenden politischen Ereignisse mit teilweise verheerenden Auswirkungen. Dazu gehörten vor allem Kriegshandlungen, Terrorismus und Unruhen, organisierte Kriminalität (oft im Cyberbereich) und COVID-19-Nachwirkungen, beispielsweise Umsatzeinbußen, Rohstoffmangel oder Lieferkettenunterbrechungen. Politische Risiken treten außerdem nicht mehr hauptsächlich in Schwellenländern auf: 2022 und 2023 erlebten europäische Länder beispielsweise die mitunter umfangreichsten Proteste gegen gestiegene Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren.
Immer mehr Unternehmen wollen sich deshalb absichern. So haben nicht nur alle von WTW befragten Unternehmen ihr politisches Risikomanagement seit Februar 2022 zumindest teilweise verbessert; auch die Anzahl derer, die sich mit einer Versicherung gegen politische Risiken schützen wollen, hat sich von 25 Prozent im Jahr 2019 auf 68 Prozent in diesem Jahr fast verdreifacht.
Die Folge dieses Wandels liegt auf der Hand: Unternehmen sehen sich mit einem teilweise gesunkenen Risikoappetit der Versicherer und punktuell stark gestiegenen Prämien konfrontiert. In einigen Fällen haben Versicherer den Vertragsumfang eingeschränkt, indem sie beispielsweise politische Gewaltrisiken oder einzelne Regionen ausgeschlossen und Deckungssummen reduziert haben. Zudem stellen sie meist nur noch Ein-Jahres-Verträge zur Verfügung. Die Ursache ist, dass politische Risiken kaum kalkulierbar sind, aber katastrophale Schäden verursachen können. Sie gelten als Kumulrisiken, denn Schadenereignisse betreffen zumeist viele Unternehmen auf einmal.
Schutz ist daher deutlich teurer geworden, wobei Versicherer ebenfalls die Limite reduziert haben und erhöhte Selbstbehalte fordern. Besonders schwierig ist die Lage weiterhin für Unternehmen, die Beziehungen zur Ukraine, Russland oder Belarus unterhalten. Aber auch Hongkong, Taiwan, Chile oder einige afrikanische Länder sind zunehmend von politischen Risiken betroffen und beeinflussen die Versicherungsmodalitäten negativ. Länderunabhängig werden überdies Niederlassungen in Ballungsräumen von Versicherern meist als „unattraktives“ Risiko bewertet, da das Gefahrenpotenzial dort höher ist. Beispielsweise ist ein Standort in der Innenstadt mit höherer Wahrscheinlichkeit von gewalttätigen Protesten betroffen. Entstehen bei einem solchen Protest Infrastrukturschäden, die direkt vor dem Standort repariert werden müssen, führt das oft zu einer geringeren Kundenfrequenz. Der Besitzer generiert dadurch weniger Umsatz als Folge politischer Unruhen.
Damit Unternehmen für politische Risiken bestmöglich gerüstet sind und trotz der Marktverhärtung Versicherungsschutz erhalten, müssen sie sich mit ihren spezifischen Risiken genau auseinandersetzen; ein schwieriges und aufwändiges Unterfangen, denn jedes Ereignis ist einzigartig. Vergangene Daten helfen also nur eingeschränkt dabei, Lösungen zu entwickeln. Stattdessen gilt es, alle potenziell relevanten politischen Risiken konstant zu beobachten und individuell einzuschätzen.
Spezifische Modelle zur globalen Risikoanalyse unterstützen dabei. Sie ermitteln die (globalen) Folgen eines Schadenszenarios und berechnen den wahrscheinlichen Maximalschaden, wodurch sich passende Deckungsstrukturen konstruieren lassen. Zudem schlagen sie bei veränderten Risikoumgebungen Alarm und helfen, Schwachstellen aufzuzeigen sowie betriebliche und strukturelle (Präventiv-) Maßnahmen zu ergreifen. Diese Unterstützung ist besonders relevant im Hinblick darauf, dass Unternehmen aufgrund steigender Risiken und Preise sowie sinkenden Kapazitäten nicht mehr alles versichern können. Sie müssen umdenken und selbst Prävention betreiben – beispielsweise, indem sie die Risiken für ihre Standorte individuell ermitteln und so die Risikoszenarien besser einschätzen können.
Unsere WTW-Experten, die global vertreten sind und miteinander kooperieren, informieren Unternehmen fortwährend über relevante Ereignisse und helfen dabei, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Gleichzeitig gewährleisten sie wettbewerbsfähige Konditionen durch einen möglichst umfassenden Marktzugang. Bei Bedarf helfen sie, alternative, zum Teil maßgeschneiderte, Risikotransferlösungen einzusetzen.
Entscheidend ist, dass alle Unternehmen – unabhängig von der Branche und ob sie international tätig sind oder nicht – vorausschauend agieren und über eine Business-Continuity-Strategie verfügen. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die aus ethischen, politischen oder ideologischen Gründen gefährdet sind, beispielsweise Waffenproduzenten, gewisse Bereiche in der Lebensmittelbranche oder auch kritische Infrastrukturen wie Energie-Konzerne. Ein gutes Business Continuity Management beinhaltet zum Beispiel alternative Produktionsstandorte in weniger exponierten Regionen oder umfassende IT-Sicherheitsvorkehrungen.
Auch das Thema Krisenprävention und -bewältigung darf keinesfalls vernachlässigt werden. Dabei geht es unter anderem darum, Mitarbeitende und Kunden im Ernstfall zu informieren und Strategien zu entwickeln, mit denen das Unternehmen die Informationshoheit über öffentliche Kommunikationswege, wie Presse oder Social Media, behält.
Für einen passenden Versicherungsschutz sollten Unternehmen zudem in regelmäßigen Abständen ihre Versicherungspolicen überprüfen, um Deckungslücken zu finden. Dafür müssen sie ihren Bedarf genau ermitteln, was je nach Unternehmensgröße aufwändig sein kann. Hierbei ist es oft sinnvoll, Länder- oder sogar Regionen-spezifisch vorzugehen und Prioritäten festzulegen. Wenn nötig, können Unternehmen dann auf dem Spezialmarkt nach Versicherungslösungen für politische Risiken suchen.
Auch der 2002 gegründete Terrorismuspool EXTREMUS Versicherungs-AG ist ein Beispiel, wie Unternehmen sich gegen Terrorismusrisiken absichern können[1]. Von der deutschen Bundesregierung unterstützt, versichert er Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die durch Terrorakte Schäden und Betriebsunterbrechungen erlitten haben.
Eine weitere Versicherungsmöglichkeit sind beispielsweise Captives. Die firmeneigenen Versicherungsunternehmen ermöglichen den Zugang zu nicht wettbewerbsgetriebenen Kapazitäten. Mit flexiblen Tarifierungsmöglichkeiten, die innerhalb einer Captive-Struktur zulässig sind, können sowohl die Preisgestaltung für Risiken angepasst als auch bisher nicht versicherbare Risiken abgesichert werden. Im besten Fall lassen sich damit auch Kosten einsparen.